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Franzosenliebchen

Franzosenliebchen

Titel: Franzosenliebchen
Autoren: Jan Zweyer
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angebliche
Vertuschungsbemühungen der französischen Behörden.
Kein Wort von Saborski, Schneider oder Wiedemann. Kein Wort
über die Briefe, die Wiedemanns Geständnis enthielten.
Stattdessen fabulierte der unbekannte Autor darüber, wie
Goldstein Solle die Kette Agnes’ unter Lebensgefahr entwendet und so den
Schuldbeweis erbracht habe.
    Fassungslos legte
Goldstein die Akte auf den Schreibtisch.
    Sander hielt ihm einen
Federhalter hin. »Unterschreiben Sie den Bericht«,
erklärte er. »Und ich unterschreibe die
Ernennungsurkunde. Deutschland erwartet das von
Ihnen.«
    Goldsteins Gedanken
rasten. Die mit Wiedemann und Saborski geführten
Auseinandersetzungen über Schuld und Sühne, Wahrheit und
Lüge, Moral und Ethik kamen ihm in den Sinn. Er sah Sander,
der sich selbstgefällig in seinem Schreibtischsessel
räkelte, dachte daran, dass er nicht einmal mehr über
eine Wohnung verfügte und dass seine restliche Barschaft durch
die Inflation in nur wenigen Tagen dahingeschmolzen sein
würde. Ihm fielen die Worte ein, die er selbst Wiedemann an
den Kopf geworfen hatte: »Was kann es Wichtigeres geben als
die Wahrheit?« Und auch an die Antwort des Mörders
erinnerte er sich: »Ihr Leben, beispielsweise. Oder auch
Deutschland.«  
    Goldstein streckte den
Rücken durch. Dann beugte er sich vor, griff das angebotene
Schreibgerät und unterschrieb.
    »Gut, dass Sie
zur Vernunft gekommen sind«, sagte Sander und nahm den
Füllfederhalter zurück. »Das soll nicht Ihr Schaden
gewesen sein, Herr Kriminalkommissar.«
    An diesem Abend wurde
es spät im Stillen Eck. Goldstein trank bis zur
Besinnungslosigkeit.

 
    Epilog
    Im Sommer 1924 verlor
Ernestine Schafenbrinck auch das letztinstanzliche Verfahren vor
dem Landgericht in Bochum, in dem sie die Nichtigkeit des mit
Siegfried Königsgruber geschlossenen Vertrages hatte
feststellen lassen wollen und gleichzeitig Wieland Trasse der
vorsätzlichen Täuschung beschuldigte. Eine arglistige
Täuschung, so das Gericht in seiner Urteilbegründung, sei
den Beklagten nicht schlüssig nachzuweisen. Außerdem sei
der Vertrag notariell geschlossen und beurkundet worden.
Ausschlaggebend für die Entscheidung des Gerichts war die
beeidigte Aussage des Notars, der im Sinne Trasses und
Königsgrubers argumentiert hatte. Ernestine Schafenbrinck
musste die Kosten des Verfahrens und der Anwälte tragen. Ihr
Kaufhaus bekam sie nicht zurück.
    Am Morgen nach der
Urteilsverkündung fand die Köchin Ernestine Schafenbrinck
erhängt in ihrem Treppenhaus.
    Ein weiteres halbes
Jahr später beobachtete der Friedhofsgärtner einige
Minuten neugierig den Franzosen, der sich am frühen Morgen bei
ihm in gebrochenem Deutsch nach der letzten Ruhestätte von
Agnes Treppmann erkundigt hatte. Fast bewegungslos stand der
hochgewachsene Mann in dem dunklen Anzug vor dem Grab, das im
Schatten eines mächtigen Rhododendrons auf dem Vellwiger
Friedhof lag. Dann ging der Trauernde in die Knie, zog eine schwere
Steinplatte, auf der eine Bronzevase befestigt war, aus der
mitgeführten Tasche und platzierte diese sorgfältig auf
einer noch nicht bewachsenen Stelle des Grabes. Er schöpfte
Wasser vom Friedhofsbrunnen, füllte die Vase und stellte zwei
Rosen hinein, die etwas verloren in dem zu großen
Behältnis wirkten. Der Mann richtete sich wieder auf, faltete
die Hände und senkte den Kopf. Tränen liefen über
sein Gesicht. Fast eine Stunde stand er in Gedanken versunken da.
Endlich wandte er sich zum Gehen und verließ schweren
Schrittes den Friedhof.
    Am späten
Vormittag näherte sich die Familie Treppmann dem Grab
Agnes’, um besonders heute an sie zu denken. Sie wäre an
diesem 15. September dreiundzwanzig Jahre alt geworden.
    Erstaunt registrierte
die Familie die Vase auf dem Steinblock. In das Metall war eine
Inschrift eingraviert: Je t’aime, stand da. Und darunter:
Julian.
    Einem ersten Impuls
folgend, wollte Werner Treppmann den letzten Gruß des
französischen Soldaten entfernen, aber seine Frau Erna hielt
ihn sanft zurück.
    »Lass«,
bat sie ihn.
    Julian Solle, der nie
geheiratet hatte, kehrte jedes Jahr zu Agnes’ Geburtstag auf
den Friedhof in Vellwig zurück. Und jedes Jahr fand sich eine
Rose mehr in der Vase, die bald von Grünspan überzogen
war.
    Als die Inschrift
unleserlich zu werden drohte, reinigte Lisbeth sie mit einer
Drahtbürste. In den kommenden Jahren wurde diese
Tätigkeit für sie zu einem lieb gewordenen Ritual. Aber
auch sie verzichtete darauf, dem Geliebten ihrer
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