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Frankenstein oder Der moderne Prometheus

Frankenstein oder Der moderne Prometheus

Titel: Frankenstein oder Der moderne Prometheus
Autoren: Mary Shelley
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wert
wäre. Ein oder zweimal eine steife Brise und einmal ein kleines
Leck, das sind Zufälle, deren ein erfahrener Seemann kaum Erwähnung
tut, und ich will recht zufrieden sein, wenn uns auf der ganzen
Reise nichts Unangenehmeres passiert.
    Lebe Wohl, teure Margarete. Sei überzeugt, daß ich um Deinet-
wie um meinetwillen mich nicht allzu kühn der Gefahr aussetzen
werde. Ich will kaltblütig, überlegt und vernünftig sein.
    Aber der Erfolg muß mein Werk krönen. Warum
auch nicht? So weit bin ich nun gekommen über die pfadlose See; nur
die Sterne am Himmel sind Zeugen meines Sieges. Warum soll ich
nicht noch weiter fortschreiten auf dem ungezähmten, aber doch
zähmbaren Element? Was wäre imstande, sich auf die Dauer dem
mutigen, willensstarken Manne entgegenzustellen?
    Mein Herz ist zu voll, als daß es nicht überlaufen sollte. Aber
ich muß schließen. Gott sei mit Dir, liebe Schwester!
    Robert Walton.

An Frau Saville, London
    5. August
18..
    Etwas sehr Merkwürdiges hat sich ereignet und ich muß es Dir
berichten, wenn ich auch wahrscheinlich eher bei Dir bin, als diese
Zeilen Dich erreichen.
    Letzten Montag (31. Juli) waren wir fast ganz von Eis
eingeschlossen, so daß das Schiff kaum mehr den zum Vorwärtskommen
nötigen Platz hatte. Unsere Lage war einigermaßen gefährlich,
besonders deswegen, weil ein dichter Nebel uns einhüllte. Wir
drehten deshalb bei, in der Hoffnung, daß die Witterung endlich
anders werde.
    Gegen zwei Uhr lichtete sich der Nebel und wir erblickten, wohin
wir sahen, weite, fast unermeßlich scheinende Eisflächen. Einige
meiner Leute wurden unruhig und auch mich beschlichen trübe,
ängstliche Gedanken, als plötzlich etwas Seltsames unsere
Aufmerksamkeit auf sich zog und uns unsere gefährliche Situation
vergessen ließ. Wir bemerkten einen niedrigen Wagen, der auf
Schlittenkufen befestigt war, von Hunden gezogen wurde und sich in
einer Entfernung von etwa einer halben Meile nordwärts bewegte. Im
Schlitten saß eine Gestalt, die einem Menschen, aber einem solchen
von außergewöhnlicher Größe glich und die
Tiere lenkte. Wir verfolgten mit unseren Fernrohren den Reisenden,
der blitzschnell dahinflog und bald durch Unebenheiten des Eises
unseren Blicken entzogen wurde.
    Diese Erscheinung erregte begreiflicherweise unsere Neugierde in
hohem Maße. Wir hatten geglaubt, uns Hunderte von Meilen vom festen
Lande entfernt zu befinden, diese Erscheinung aber schien uns das
Gegenteil zu beweisen. Da wir vom Eise völlig eingeschlossen waren,
war es uns unmöglich, die Spuren des rätselhaften Wesens zu
verfolgen.
    Etwa zwei Stunden danach hörten wir die Grunddünung, und ehe es
Nacht wurde, löste sich das Eis und das Schiff wurde frei. Trotzdem
aber blieben wir bis zum Morgen liegen, da wir fürchten mußten, in
der Dunkelheit mit den treibenden Eismassen zusammenzustoßen. Ich
benützte diese Zeit, um mich etwas auszuruhen.
    Als es Tag wurde, ging ich an Deck und fand alle Matrosen auf
einer Seite des Schiffes stehen, sich mit jemand unterhaltend, der
scheinbar unten auf dem Wasser war. Es war in der Tat ein
Schlitten, ähnlich dem, den wir gestern gesehen hatten; er war in
der Nacht auf einem schwimmenden Stück Eis zu uns herangetrieben
worden. Nur ein Hund war noch vorgespannt, und im Schlitten saß ein
Mensch, den die Matrosen veranlassen wollten, an Bord zu kommen. Er
war nicht, wie uns der Fremde von gestern geschienen hatte, ein
wilder Eingeborener irgend eines unentdeckten Eilandes, sondern ein
Europäer. Als ich an Deck kam, sagte der Maat: »Da kommt unser
Kapitän, der wird nicht zugeben, daß Sie auf offener See zugrunde
gehen.«
    Der Fremde gewahrte mich und sprach mich dann englisch,
allerdings mit etwas eigentümlichem Dialekt, an. »Ehe ich an Bord
Ihres Schiffes gehe,« sagte er, »bitte ich Sie mir zu sagen, wohin
Sie zu fahren gedenken.«
    Du wirst begreifen, daß ich momentan sehr erstaunt war, diese
Frage von einem Menschen zu hören, der eben knapp dem Untergang
entronnen zu sein schien und von dem man annehmen mußte, daß ihm
mein Schiff ein Zufluchtsort sei, den er nicht gegen alle Reichtümer der Erde mehr vertauscht haben würde.
Ich erklärte ihm, daß ich mich mit meinem Schiffe auf einer
Entdeckungsreise nach dem Nordpol befände.
    Dies schien ihn zufriedenzustellen und er nahm meine Einladung
an. Großer Gott! Margarete, wenn Du den Mann gesehen hättest, der
sich nur so schwer retten ließ, Dein Erstaunen hätte keine Grenzen
gehabt. Seine Glieder
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