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Fraeulein Jensen und die Liebe

Fraeulein Jensen und die Liebe

Titel: Fraeulein Jensen und die Liebe
Autoren: Anne Hansen
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kleinen Köfferchen anreisen. Die Zeiten, in denen ich vier Koffer für drei Tage hinter mir herschleppe, sind endgültig vorbei. Am Flughafen werde ich nur noch »Die Frau mit dem Handgepäck« genannt.
    Oh Gott. Ich werde Kanzlergattin. Na ja, fast jedenfalls. Nächste Woche geht es nach Straßburg. Ins Zentrum der Macht.
     

     
    Die Kanzlergattin wohnt in der Jugendherberge. Als ich in der zentralen Zimmervermittlung in Straßburg anrief, bekam die Frau am anderen Ende der Leitung einen hysterischen Lachanfall. Nachdem sie sich wieder beruhigt hatte, sagte sie in einem Akzent, der mich sofort neidisch machte (und den ich mir auch angewöhnen werde, wenn ich erst einmal in Straßburg wohne): »Wiessen Sie, wir aben Sietzungswoche des Parlaments, kein Otel verfügbar. Pardon, Madame.«
    Gnädigerweise gab sie mir noch die Nummer einer Jugendherberge. »Isch glaube niescht, dass sie was aben frei. Aber probieren können Sie, Madame. Bonne chance!«
    Jugendherberge. So hatte ich mir das nun wirklich nicht vorgestellt. Eigentlich wollte ich mir zur Feier des Tages (und der staatsmännischen Entwicklung meines Lebens) ein richtig schickes Hotel gönnen. Wenn ich ehrlich bin, wollte ich Alexander nach unserem Gespräch – sofern es gut lief, wovon ich natürlich ausgehe – noch auf einen »Absacker« in die Hotelbar einladen. Wir würden in zwei schweren Ledersesseln versinken, die schummrige Beleuchtung würde selbst aus meiner Haut ein ebenmäßiges Etwas zaubern, neben uns würde ein schwarzer Musiker an einem weißen Flügel leise Jazzmusik spielen, und während ich in der Handtasche schon mit dem vergoldeten Zimmerschlüssel klappere, rückt Alexander näher an mich heran.
    »Da haben Sie sich aber ein schickes Hotel ausgesucht«, raunt er in mein Ohr und blickt anerkennend durch die Bar.
    »Finden Sie? Ich finde es eigentlich eher durchschnittlich. Aber nein, ich will nicht ungerecht sein. Es ist schon ganz ordentlich.« Ich lache ein wenig gekünstelt und flüstere dann: »Aber lassen Sie uns doch nicht über Hotels sprechen. Wollen wir nicht lieber ... «
     
    Ich befürchte, dass dieser Dialog nie stattfinden wird. Denn in der Tat war die örtliche Jugendherberge die einzige Unterkunft, die noch ein freies Bett hatte. Ein einziges.
    Und genau vor dem stehe ich jetzt.
    Na ja, Bett kann man das eigentlich nicht nennen. Es ist eher eine kleine Pritsche. Sie besteht komplett aus Draht und erinnert mich irgendwie an die Betten aus »Hinter Gittern«. Gegenüber davon gibt es ein kleines Fenster, aus dem man sogar hinaussehen kann, wenn man sich auf die Zehenspitzen stellt. Ein schmutziges Waschbecken neben der Eingangstür und zwei wacklige Garderobenhaken runden das malerische Wohlfühlzimmer ab. Toilette auf dem Gang.
    Wenn Träume wahr werden.
    Falls ich Alexander wirklich, nun, also, wenn wir uns tatsächlich so gut verstehen, dass wir unser Gespräch am Abend in privater Atmosphäre weiterführen möchten, müsste ich ihm noch im Taxi die Augen verbinden. Blind könnte ich ihn dann in die Jugendherberge und in mein Gefängniszimmer führen. Ich könnte ihm sagen, dass ich das bei ersten Dates immer machen würde. »Ist doch eine witzige Idee«, würde ich hektisch flüstern, während ich ihn in mein Zimmer bugsieren würde. (Wie erkläre ich ihm bloß die lautstarken Jugendlichen im Nebenzimmer?) Irgendwann würde ich ihn dann – natürlich immer noch blind – wieder hinausführen und ihm sagen, dass er sich die Augenbinde erst wieder abmachen dürfe, wenn ihn der Taxifahrer in einem verlassenen Waldstück aussetzen würde.
    Oh Gott. Ich habe zu viele Krimis gesehen. Das alles hier sollte doch eine Romanze werden. Eine romantische, gerne kitschige, aber auf jeden Fall hoch erotische Romanze. Wir sind schließlich in Frankreich. Und es ist mein letzter Traummann. Okay. Durchatmen. Keine Panik, keine Panik. Morgen wird alles gut. Ich wache in einem Fünf-Sterne-Palast auf und stelle erleichtert fest, dass ich von dieser Jugendherberge nur geträumt habe. In diesem Sinne: gute Nacht. Es kann nur besser werden.
     

     
    Zugegeben, es war kein böser Traum. Ich habe tatsächlich in der Jugendherberge geschlafen und mein Rücken wird nach der Nacht auf der Gefängnispritsche die nächsten zehn Jahre beim Krankengymnasten verbringen. Auch das Frühstück war etwas gewöhnungsbedürftig. Ich musste mich in einer langen Schlange einreihen (Durchschnittsalter um mich herum zarte zwölf) und bekam dann ein Croissant
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