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Fränkisch Schafkopf

Fränkisch Schafkopf

Titel: Fränkisch Schafkopf
Autoren: Petra Kirsch
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selbst auferlegten Pflichten eingelöst. Durchtrainiert und gesund, das war sie in ein paar Wochen.
    Man muss bloß wollen, dann ist alles ein Kinderspiel.
    Solch enorme Entschlusskraft sollte belohnt werden. Mit einem letzten Schluck, einem ganz kleinen, von diesem süffigen Weißburgunder. Doch die Flasche war leer. So ging das wirklich nicht weiter! Ab morgen war damit Schluss. Nur gut, dass sie jetzt Urlaub hatte. Und wenn sie wieder da war, würde die Wohnung auf Vordermann gebracht werden. Immer schön eins nach dem anderen.
    Mit jedem dieser Vorhaben wuchs ihr Hunger auf die Welt, auf die Fremde. Sie zündete sich eine Zigarette an, sah auf die erleuchtete Kaiserstallung und – freute sich. Darauf, ihr mitunter doch recht biederes Nürnberg und das ebenso glanzlose Berufsleben hinter sich zu lassen. Für einen kurzen Moment dachte sie sogar darüber nach, Paul anzurufen, um sich bei ihm zu entschuldigen. Sie beließ es bei dem Gedanken.
    Sie wusste jetzt, was sie die nächsten Tage erwartete. Das verlieh ihr Halt und Zufriedenheit. Sie stieg in den Keller hinab, um nach ihren alten Wanderschuhen zu suchen. Die schweren staubigen Lederstiefel stellte sie neben das Dielenschränkchen. Dann ging sie ins Bett.
    Als sie am nächsten Morgen ein schriller Wecker aus dem Schlaf riss, überfielen sie Zweifel. Wieso eigentlich musste sie heute schon ihre Reise antreten? In diesem Augenblick erschienen ihr, die sich tief und schlaftrunken ins warme Bett eingrub, die Pläne von gestern Abend als übereilt und unsinnig.
    Dagegen half nur eins – sofort aufstehen. Kurz darauf stand sie unter der Dusche. Grübelnd und zweifelnd. Warum diese Einschränkungen, wieso eigentlich der Verzicht auf ihren Wein und ihre  HB ? Sie war doch nicht krank.
    Erst bei der zweiten Tasse Kaffee waren auch diese Anfechtungen niedergekämpft. Nein, nein, das hatte schon seine Richtigkeit so. Und als sie schließlich wahllos Unterhemden und T-Shirts, Slips, Socken und die Trekkinghose in die Reisetasche stopfte, war sie sich ihrer Absichten und Pläne, also ihrer selbst, wieder ganz sicher. So sicher, dass sie sogar die Zigarettenpackungen aus der Reisetasche wieder hervorkramte und sie mit einem selbstzufriedenen Lächeln in die oberste Schublade des Dielenschränkchens legte. In diesem Moment kam sie sich ungemein diszipliniert, ja geradezu erhaben vor.
    Kurz nach sieben saß sie in ihrem BMW . Eine halbe Stunde später hatte sie die Stadtgrenze hinter sich gelassen und war auf die Autobahn abgebogen, forsch und zuversichtlich. Wie sie erwartet hatte, war die A 9   Richtung München voll. Doch das würde ja bald besser werden.
    Es wurde aber nicht besser. Auch auf der A 6 nach Heilbronn herrschte drangvolle Enge. Doch noch rollte der Verkehr. Hinter Ansbach dann musste sie in den dritten Gang schalten, danach in den zweiten, schließlich Stillstand. Eine halbe Stunde später löste sich die Stauung auf. Wie eine Ziehharmonika zog sie sich auseinander, erst langsam, dann schnell und schneller. Und keine Baustelle, keine Umleitung, kein Unfall, kein plausibler Grund für diese Stockung. Das irritierte sie. Das war doch von ihr klug geplant gewesen, das mit der antizyklischen Anfahrt. Was würde sie erst erwarten, wenn sie auf die Ulmer Autobahn, also doch Richtung Süden, abbiegen musste?
    Aber nichts kam. Was kam, waren Wälder, Wiesen, Siedlungen, die am Autofenster vorbeiflogen.
    Plötzlich neuer Stau. Kurz vor Langenau, niemand hatte das auf der freien Bahn erwartet. Überall quietschten Bremsen. Ihre Reisetasche flog von der Rückbank nach vorn. Es war nun ganz ruhig auf der Straße, unnatürlich ruhig.
    Sie ließ das Fenster herunter, griff nach der Packung im Handschuhfach und zündete sich hastig eine Zigarette an. Viel Wein an den Berghängen. Erst nach einer halben Stunde ging es weiter. An der verbogenen Leitplanke sah sie den Grund für diesen abrupten Stau: ein Kleinwagen, zerfetzt und zerquetscht. Davor auf der Ausfallspur eine junge Frau in einem weißen Kleid, die Beine rot von Blut.
    Sie fuhr langsam vorbei. »Rasch tritt der Tod den Menschen an, es ist ihm keine Frist gegeben, es reißt ihn fort vom vollen Leben«, sagte sie leise zu ihrem Lenkrad. Nirgendwo sonst, dachte sie, die mit dem raschen Tod tagtäglich konfrontiert wurde, hatte dieses Schiller-Zitat so sehr seine Gültigkeit wie im
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