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Fortune de France: Roman (German Edition)

Fortune de France: Roman (German Edition)

Titel: Fortune de France: Roman (German Edition)
Autoren: Robert Merle
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anflehten, sie gewähren zu lassen. Ich versagte mir lange Zeit jede Bewegung, doch da mir die Reglosigkeit auf die Dauer beschwerlich wurde und ich auch vermeinte, die kleine Hélix sei eingeschlafen, erhob ich mich behutsam. Ihr Kopf und ihr Körper glitten zur Seite. Trotzdem fühlte ich mich wie an sie gefesselt und gewahrte, daß sie noch immer die Kette meiner Medaille in ihrer geschlossenen Hand hielt. Es kostete mich etliche Mühe, ihre Finger zu lösen, um mich zu befreien; dabei schaute ich ihr ins Gesicht und sah ihre geöffneten, verdrehten Augen. Zitternd kniete ich vor ihrem Lager nieder undlauschte auf ihren Herzschlag – was ich oftmals zu Spiel und Scherz getan, wenn sie von ihrer großen Liebessehnsucht nach mir sprach und ich zur Antwort gab, ich wolle selbige sogleich prüfen und wehe, wenn ihre Rede nur Trug gewesen –, doch diesmal war es das Leben, das mich getrogen hatte, denn ihr armes Herz pochte nicht mehr gegen die Rippen.
    Noch war keine Stunde seit dem Tode der kleinen Hélix vergangen, als mich mein Vater mit Samson fortschickte, bei der Zeichnung der Osterlämmer Hand anzulegen. In Wahrheit hätten sie in Le Breuil ohne uns auskommen können, und bei der Rückkehr nach Mespech am nächsten Tag begriff ich, daß dies ein Vorwand gewesen, mich zu entfernen, während mein Vater in der doppelt verriegelten Kammer den Schädel der Toten aufsägte, um seine Diagnose bestätigt zu finden. Als ich zurückkehrte, war die kleine Hélix in ein Leichentuch gewickelt und auf ihr Lager aus Kastanienholz gebettet, Catherines Puppe in den Armen und um den Kopf einen Verband.
    Ich durfte die kleine Hélix ein letztes Mal anschauen, bevor Faujanet dann den Deckel aufnageln würde, der sie von der Welt der Lebenden trennen sollte. Ich sprach ein kurzes Gebet, entfernte mich eilends, um nicht die Hammerschläge des Küfers hören zu müssen, und lief ins Gemach von Catherine, die auf ihrem großen Bett lag und, wie ich geahnt, diesen Tod und auch den Verlust ihrer Puppe beweinte. Da nahm ich sie in die Arme und leistete unter Tränen und Küssen den Schwur, ihr aus Montpellier eine schönere und größere Puppe mitzubringen, als je ein Mädchen im Sarladischen Land besessen.
    Bevor ich meinen Vater aufsuchte, ihm über die Zeichnung der Lämmer zu berichten, ließ ich zunächst meine Tränen trocknen, denn ich wollte ihn mit meiner Schwäche nicht inkommodieren. Ich fand ihn in der Bibliothek, mit ernster Miene auf und ab schreitend. Mit einer Kälte, die nur vorgetäuscht war, wie ich merkte, sagte er:
    »Es war tatsächlich ein Geschwür, wie ich gedacht, und zwar von großem Ausmaß, das die Meningen und Nerven sehr gedrückt haben muß, bevor es sie mit seinem Eiter überschwemmte.«
    Seine Worte taten mir weh, und da ich von dem schrecklichen Bild loskommen wollte, das sie in meinem Gemüt heraufbeschworen, erwiderte ich:
    »Werdet Ihr es Herrn von Lascaux mitteilen?«
    »Mitnichten. Er ist zwar kein schlechter Mensch, aber vor Eitelkeit aufgeblasen wie ein Pfau, und ich würde ihn mir zum Feinde machen.«
    Er senkte den Blick.
    »Escorgol hat das Grab neben Marsal Schielauge im Nordteil der Einfriedung ausgehoben. Wir werden die Tote zur Mittagszeit bestatten, nach unserem schlichten Brauch. Ich werde die Predigt halten und mich sehr kurz fassen. Möchtet Ihr dabeisein?«
    Ich begriff sofort, daß mein Vater mich bitten wollte, meinen Schmerz im Beisein des Gesindes zu zügeln.
    »Ich werde dabeisein«, sprach ich, so fest ich konnte.
    Und ich hielt mein stillschweigendes Versprechen und verharrte trockenen Auges, als man den Sarg mit der so leichten Last »in die kalte, dunkle Erde« senkte.
    All unsere Leute waren anwesend und sahen bekümmert und traurig aus. Mein Vater sprach. Ich meinte aus seinen Worten herauszuhören, warum er Sauveterre nicht hatte predigen lassen wollen, denn mit einem – wie mir schien – eigens ausgewählten Zitat von Calvin knüpfte er an unser wenige Tage zuvor geführtes Gespräch über die kleine Hélix an: »Die Gott in die ewige Seligkeit abberuft«, so lautete das Zitat, »nimmt er in gnädiger Barmherzigkeit auf, ohne ihrer Verdienste und Würden zu achten.«
    In den folgenden Wochen war mein Vater bemüht, mich zu beschäftigen und in ständiger Bewegung zu halten, indem er mich oftmals von Mespech nach Le Breuil, zur Beunes-Mühle oder nach Sarlat schickte. Doch so gewissenhaft ich diese Aufträge erfüllte, sie interessierten mich nicht, denn in mir war die
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