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Fortune de France: Roman (German Edition)

Fortune de France: Roman (German Edition)

Titel: Fortune de France: Roman (German Edition)
Autoren: Robert Merle
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Doktordisputation nicht abhalten. Zwei Tage vor dem festgesetzten Tage mußte er aus der Stadt flüchten, alldieweil es ihn nicht danach gelüstete, mit einer Schlinge um den Hals seinen letzten Blick zum Himmel zu tun und anschließend in vier Teile gerissen zu werden, welche vier Teile dann gemäß dem örtlichen Brauche an den Ölbäumen vor den Toren der Vorstadt aufgehängt wurden: ein Brauch, welcher mich seltsam berührte, als ich dreißig Jahre später höchstselbst an einem sonnigen Junimorgen in diese schöne Stadt einritt und dabei die verwesenden Teile gehenkter Frauen gewahrte, welche zum Exempel an den Zweigen dieser Bäume hingen, die es sich gleichwohl nicht versagten, fleißig Früchte zu tragen.
    Wenn ich meinen Vater heutigentags ansehe, so vermag ich mir kaum vorzustellen, daß er vor dreißig Jahren ebenso ungestüm war wie ich, ebenso waghalsig und den Weibern nicht weniger zugetan. Denn in der Tat war ein gewißlich ganz nichtsnutziges Frauenzimmer der Anlaß, daß mein Vater einen kleinen aufgeblasenen Edelmann, welcher ihn herausgefordert, in ehrlichem Duell mit seinem Degen durchbohrte.
    Eine Stunde darauf erblickte Jean de Siorac von einem Seitenfensterchen seines Quartieres die Büttel, welche an die Haustür schlugen. Er sprang kurzentschlossen aus einem Hoffenster, schwang sich auf sein zum Glück noch gesatteltes Roß und sprengte mit verhängten Zügeln zur Stadt hinaus. Nur mit einem Wams angetan, barhäuptig, ohne Mantel und Degen rettete er sich in das Cevennen-Gebirge und fand zuerst Unterschlupf bei einem Studiosus, welcher hoch droben in einem Bergdorf sechs Monate lang die Heilkunst ausübte, bevor er zu Montpellier seine Doktordisputation abzuhalten gedachte. Alsdann durchquerte mein Vater die Auvergne und gelangte ins Périgord, wo der alte François Siorac ihn mit Kleidern, Wehr und Waffen versah, ehe er ihn auf den Weg nach Rouen zu seinem Sohne Charles schickte.
    Doch in der Zwischenzeit hatten die Eltern des Edelmannes, welche die Sache nicht auf sich beruhen lassen wollten, Klage eingereicht beim Parlament zu Aix, und so wäre es trotz der Protektion, welche mein Großvater als Apotheker genoß, nichtklüglich gewesen, daß Jean de Siorac sich zu Rouen in aller Öffentlichkeit zeigte.
    Dies trug sich zu in dem Jahre, da unser großer König Franz I. die Aushebung einer Legion in jeder Provinz des Königreiches verfügte – eine weise Maßnahme, welche uns, so sie später nur fortgeführt worden wäre, in unseren Kriegen der Notwendigkeit enthoben hätte, jene Schweizer anzuwerben, die sich gewißlich wacker schlugen, solange sie ihren Sold erhielten, doch andernfalls den unglücklichen französischen Bauersmann ebenso ausplünderten wie der Feind.
    Die erste Legion, welche im Königreiche aufgestellt ward, war die Normannische, welche sechstausend Mann zählte, und mein Vater ließ sich dort kurzerhand anwerben mit dem Versprechen, daß der König ihn wegen des im Duell getöteten Mannes begnadigen werde. Und in der Tat, als Franz I. im Mai anno 1536 die Normannische Legion in Augenschein nahm, fand er alles zu seiner Zufriedenheit, so daß er jeglichen Bittgesuchen großmütig stattgab und auch meinen Vater begnadigte – allerdings unter der Bedingung, daß er fünf Jahre lang diene. »Und so geschah es«, pflegte Jean de Siorac zu sagen, »daß ich, nachdem ich die Kunst des Heilens erlernt, gezwungen war, das Töten zu meinem Handwerk zu machen.«
    Es stieß meinem Großvater Charles höchst sauer auf, seinen Zweitgeborenen in dem niederen Stande eines Legionssoldaten zu sehen, nachdem er soviel Geld ausgegeben, damit selbiger Stadtmedicus werde; um so mehr da sein Ältester, Henri, der künftige Apotheker, immer mehr vom rechten Wege abkam: er vernachlässigte seine Studien, trank, spielte und brachte sein Geld mit liederlichen Frauenzimmern und Lustdirnen durch, bis er eines Abends mit leeren Taschen und ein wenig fremder Hilfe im Seine-Fluß ertrank.
    Mein Großvater Charles fand schließlich Trost darin, daß diejenige seiner Töchter, welche er immer als »dumme Gans« verachtet hatte, der es indes nicht an gesundem Menschenverstand ermangelte, ihm einen trefflichen Tochtermann ins Haus brachte, der das Zeug hatte, seine Nachfolge anzutreten. Und so ward diese Apotheke sonderbarerweise zum zweiten Male nicht vom Vater auf den Sohn, sondern vom Schwiegervater auf den Tochtermann vererbt.
    Was nun meinen Vater Jean de Siorac betraf: er war aus ganzanderem Holze
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