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Fortinbras ist entwischt

Fortinbras ist entwischt

Titel: Fortinbras ist entwischt
Autoren: Eric Malpass
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Wasserlandschaft mißtrauisch und trübselig.
    Es war besorgniserregend. Das vordringende Wasser war keine hundert Meter mehr vom Haus entfernt, und von den Hügeln würden sich noch größere Mengen ergießen. Der Regen hatte am Abend zuvor eingesetzt, aber er war nicht etwa sanft, sondern mit wildem Rauschen niedergegangen, bösartig und wütend, prasselnd wie die Salven eines Maschinengewehrs. Und sogar jetzt, nachdem es auf gehört hatte zu regnen, sah der Himmel wie ein Haufen schmutziggrauer Wäsche aus. Der Morgen dämmerte fahl und unheilverkündend.
    «Kann ich es Opa erzählen, damit er auch Bescheid weiß?» fragte Gaylord, der vor lauter Ungeduld neben ihr auf und ab hüpfte.
    Sie nickte. «Erwarte aber nicht, daß er in ein Freudengeschrei ausbricht.» Doch Gaylord war schon beglückt verschwunden. Er stürzte in das stockdunkle großväterliche Zimmer. «Opa, wir sind überschwommen!» rief er.
    Tief unter den Decken regte sich etwas. Es war Opa, der im stillen hoffte, wenn er sich ruhig verhielte, würde der Kelch vielleicht an ihm vorübergehen.
    «Soll ich die Vorhänge aufziehen, damit du es sehen kannst?» fragte Gaylord eifrig.
    Das Bett geriet in heftige Bewegung - als sei ein Dinosaurier aus tiefem Urschlaf aufgeschreckt. «Was willst du in drei Teufels Namen?» fragte Opa und wühlte verzweifelt in den Kissen nach seiner Uhr. Statt einer Antwort riß Gaylord dramatisch die Vorhänge zurück. «Sieh doch bloß!» rief er.
    Und Opa sah. «Großer Gott», sagte er und kletterte eiligst aus dem Bett.
    Gaylord war hochzufrieden. Er eilte die Treppen hinunter, um Fortinbras Bericht zu erstatten. Aber Fortinbras nahm die Neuigkeit mit größter Gelassenheit auf. Er blickte Gaylord nur ein wenig nervös aus seinen kleinen Augen an und fuhr fort, seine Pfoten zu putzen und seine Schnurrbarthaare zu glätten. Nicht zum erstenmal fuhr Gaylord der Gedanke durch den Kopf, daß weiße Mäuse im Grunde genommen nur an ihrer eigenen, kleinen Welt interessiert sind. Schultz dagegen begrüßte die Neuigkeit mit unverhohlener Freude. Er wedelte mit dem Schwanz, japste vergnügt und fing an zu bellen; seine Blicke hingen in blinder Verehrung an seinem jungen Herrn.

    «Ruhig, Schultz», sagte Gaylord. Aus unerfindlichen Gründen hatten alle Erwachsenen etwas gegen Lärm - besonders morgens um sechs Uhr dreißig. Schultz hörte mit Bellen auf, gähnte, wobei er Laute wie eine quietschende Gartentür von sich gab, und blickte erwartungsvoll drein. Gaylord schlang die Arme um den Hals der törichten Kreatur. «Wenn Opa eine Arche Noah baut», sagte er, «dann brauchen wir aber eine Lady Schultz für dich.» Er drückte das Tier fester. «Aber ich wette, sie wird nicht halb so lieb sein wie du, Schultz!»
    Es ist höchst zweifelhaft, ob Schultz - ein Hund von sehr beschränkter Intelligenz - auch nur das Geringste von all dem verstand. Er wedelte jedoch mit dem Schwanz, leckte das Gesicht seines jugendlichen Herrn, und Gaylord wäre nie auf den Gedanken gekommen, daß nicht alles, was er sagte, für Schultz so klar wie Kloßbrühe war. Gaylord war mit sich zufrieden: den Eltern, Großvater, Fortinbras und
    Schultz, dem gesamten Haushalt hatte er prompt und zuverlässig die frohe Botschaft übermittelt; und mit der einzigen enttäuschenden Ausnahme von Fortinbras hatte das Echo alle Erwartungen übertroffen, und dabei war es noch nicht einmal morgens um sieben. Ein Tag voller Sensationen und Unternehmungen lag noch vor ihm - zumindest hoffte er das von ganzem Herzen. Das Leben war eine feine Sache.
     
    Im nahe gelegenen stand Mrs. Darling auf und nahm ein Bad. Dann verbrachte sie zwanzig Minuten vor ihrem Queen Anne-Frisiertisch und glättete hingegeben die Spuren ihrer sechzig Jahre. Beim Ankleiden summte sie vergnügt ein kleines sentimentales Lied aus der Zeit zwischen den Kriegen vor sich hin. Schließlich nahm sie Feydeau, den Pekinesen, vom Bett hoch und hängte ihn sich wie eine Stola über den Arm. Und dann erst zog sie die Vorhänge auf. «Allmächtiger Gott!» sagte Mrs. Darling.
    Das war ein weitläufiges Gebäude aus dem siebzehnten Jahrhundert und stand inmitten eines vorbildlich gepflegten Besitzes. Oder genauer gesagt: bislang hatte es dort an jedem Morgen gestanden. Aber nicht an diesem. Heute stand es einen halben Meter tief in kaltem schmutzigem Wasser. Sonst blickte man aus den Fenstern über eine liebliche ländliche Gegend, heute aber sah man nichts weiter als einen sich
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