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Forbidden

Forbidden

Titel: Forbidden
Autoren: Tabitha Suzuma
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Lochan.«
    Wieder mal der Einserschüler-Vortrag. Ich nicke unmerklich und zwinge mich, den Blick des alten Lehrers zu erwidern.
    »Und außerdem hat das neue Schuljahr gerade erst begonnen!«, verkündet er fröhlich, als wüsste ich das noch nicht. »Ein neuer Anfang. Eine neue Chance … Wir wissen, dass das alles für Sie nicht immer einfach ist, Lochan. Aber wir erhoffen uns in diesem Abschlussjahr das Beste von Ihnen. Sie haben bei den schriftlichen Arbeiten immer brilliert, was uns alle sehr freut, aber jetzt erwarten wir von Ihnen, dass Sie uns auch auf anderen Gebieten zeigen, wozu Sie fähig sind.«
    Wieder ein Nicken. Ein unwillkürlicher Blick zur Tür. Der Weg, den dieses Gespräch gleich nehmen wird, gefällt mir nicht, das weiß ich jetzt schon. Mr Freeland seufzt. »Wenn Sie es aufs UCL schaffen wollen, Lochan, müssen Sie sich aktiver am Unterricht beteiligen, das wissen Sie doch …«
    Ich nicke wieder.
    »Haben Sie verstanden, was ich damit meine?«
    Ich räuspere mich. »Ja.«
    »Aktive Teilnahme am Klassenleben. Beteiligung an Gruppendiskussionen. Redebeiträge im Unterricht. Auf eine Frage antworten, die an Sie gerichtet wird. Sich ab und zu freiwillig melden, um etwas zu sagen. Mehr verlangen wir ja nicht. Ihre Noten waren immer ausgezeichnet. Da gibt es keinerlei Beschwerden.«
    Schweigen.
    In meinem Kopf pocht es wieder. Wie lange geht das noch so weiter?
    »Sie wirken nicht ganz bei der Sache. Haben Sie auch wirklich verstanden, worum es uns geht?«
    »Ja.«
    »Gut. Sie haben so große Fähigkeiten, Lochan, und es würde uns sehr schmerzen, wenn Sie Ihre Chancen verspielen würden. Wenn Sie noch einmal Hilfe brauchen, kommen Sie zu mir. Sie wissen ja, dass wir uns dann darum kümmern werden …«
    Ich spüre, wie meine Wangen wieder zu brennen anfangen. »N-nein. Alles in Ordnung. Wirklich. Aber vielen Dank.« Ich greife nach meiner Tasche, stecke den Kopf durch den Umhängegurt und eile zur Tür.
    »Lochan«, ruft mir Mr Freeland noch nach, als ich schon halb draußen bin, »denken Sie darüber nach.«
    Endlich. Ich mache mich eilig nach Bexham auf, die Schule und alles, was damit zu tun hat, schnell hinter mir zurücklassend. Es ist noch nicht mal vier. Die Sonne sticht immer noch vom Himmel herab, ihr grelles, weißes Licht prallt von den Autos zurück, das Metall reflektiert die Strahlen in alle Richtungen. Der Asphalt glänzt von der Hitze. Die Hauptstraße ist voller Verkehr: Abgase, lautes Hupen, Schulkinder, Lärm. Ich habe mich nach diesem Augenblick gesehnt, seit mich heute Morgen der Weckeraus dem Schlaf gerissen hat. Aber jetzt, wo der Moment endlich da ist, fühle ich mich seltsam leer. Als wäre ich immer noch der kleine Junge, der am Weihnachtsmorgen die Treppe hinunterstürmt – und dann feststellt, dass Santa Claus bei uns vergessen hat, Geschenke in die Strümpfe zu stecken. Stattdessen liegt der weibliche Weihnachtsmann mit drei Freundinnen auf der Couch im Wohnzimmer, wo sie alle miteinander ihren Rausch ausschlafen. Ich war so darauf fixiert gewesen, aus der Schule rauszukommen, dass ich jetzt gar nicht weiß, was ich mit meiner Freiheit anfangen soll. Die Euphorie, auf die ich gewartet habe, stellt sich nicht ein, und ich fühle mich plötzlich einsam, irgendwie nackt, als hätte ich mich auf etwas ganz Wunderbares gefreut und nun vergessen, was es war. Hastig gehe ich weiter, fädele mich zwischen den Menschen hindurch und versuche an etwas zu denken – egal was –, worauf ich mich freuen kann.
    Ich muss diese komische Stimmung unbedingt loswerden, deshalb fange ich zu joggen an, über die zerbrochenen Gehsteigplatten der Bexham High Street, an den Abfällen im Rinnstein vorbei. Der laue Septemberwind fächelt mir durch die Haare im Nacken, meine Sneakers bewegen sich lautlos über den Boden. Ich lockere beim Laufen meine Schulkrawatte und mache die obersten Hemdknöpfe auf. Es tut gut, sich nach einem langen, stumpfsinnigen Schultag im Belmont zu bewegen. Ich hüpfe über das zertretene Obst und zerquetschte Gemüse, das von den Marktständen zurückgelassen wurde. An der Ecke biege ich in eine schmale Straße mit heruntergekommenen Reihenhäusern ein, deren Backsteinfronten sich links und rechts einen Hügel hochziehen.
    In dieser Straße mit lauter Sozialwohnungen wohnen wir seit fünf Jahren. Wir sind dorthin erst umgezogen, als unser Vater mitseiner neuen Familie nach Australien ausgewandert ist und von ihm kein Unterhalt mehr kam. Vorher haben wir in
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