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Föhn mich nicht zu

Föhn mich nicht zu

Titel: Föhn mich nicht zu
Autoren: Stephan Serin
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Grundkurs Politik kam es sogar zum Eklat, weil ich
     eine Schüleräußerung nicht entsprechend würdigte:
    «Einleitend bitte ich Sie, mir zu sagen, was Ihnen spontan zum politischen System der BRD einfällt   … Ja, Hannes!»
    «Deutschland ist eine parlamentarische Demokratie und ein Bundesstaat. Manche sprechen auch von einem Parteienstaat wegen
     der zentralen Bedeutung des Parteienwesens für den Prozess der Meinungs- und Willensbildung. Wahlen werden überwiegend als
     personalisierte Verhältniswahlen durchgeführt. Zentrale Aufgaben der politischen Institutionen werden durch das Grundgesetz
     geregelt, zum Beispiel die Rolle von Parlament und Regierung.»
    Ich kommentierte seinen Beitrag in einer Weise, wie es mir noch nie passiert war. Es rutschte einfach so heraus: «Is ja gut!
     Nun föhn mich mal nicht zu! Die Message ist anjekommen, du Schnellchecker! Andre wollen auch noch was sagen.»
    Einen Tag später standen seine Eltern auf der Matte. Hannes war aber echt empfindlich. Der sollte froh sein, dass er in Zehlendorf
     zur Schule ging. In Mitte wäre er mit seinem langen Monolog von seinen Mitschülern abgestochen worden. Das habe ich den Eltern
     auch erklärt. Sie haben wohl nur deshalb nichts gegen mich unternommen, weil meine Zeit an der Schule sowieso nach einem Monat
     beendet war.
    |33| Lehrerzimmer, Montag, Freistunde
    Frau Baum: Entschuldigen Sie. Hier können Sie nicht sitzen! Hier sitze ich immer. Schon seit über zwanzig Jahren.
    Ich: Aha! Und wo dann?
    Frau Baum: Also, die Referendare sitzen immer dahinten in der Ecke, neben dem Kopierer.

|35| 4
Schwören auf Widerruf
    Noch zehn Minuten bis zum Beginn der Vereidigung. Zum Glück war ich wie immer zu früh erschienen. Darum hatte ich noch eine
     große Auswahl und konnte zu meiner Erleichterung weiter hinten im Raum Platz nehmen. Kurz darauf waren die etwa fünfzig Klassenraumstühle,
     sauber angeordnet in dicht hintereinander stehenden Reihen, bereits alle besetzt. Rechts von uns Wartenden befand sich eine
     Wandtafel. Vor uns ein Tisch, an dem sich wohl gleich unser Hauptseminarleiter einfinden würde. Hier würde ich nun also jede
     Woche die Veranstaltungen meines Allgemeinen Seminars haben. Keinem der angehenden Referendare im Raum war ich schon mal begegnet.
     Keiner meiner ehemaligen Kommilitonen war anwesend. Ich kam mir so verloren vor wie als Jugendlicher auf Partys, auf denen
     ich niemanden gekannt und wo ich schon bei meiner Ankunft gespürt hatte, dass ich auch keine Person kennenlernen würde. Nur
     waren jene Veranstaltungen spätestens nach ein paar Stunden wieder vorbei gewesen. Doch diese Party hier würde vierundzwanzig
     Monate dauern.
    Ich ließ meinen Blick schweifen auf der Suche nach möglichen Weggefährten für die Referendariatszeit. Vielleicht gab es unter
     meinen zukünftigen Leidensgenossen jemanden, der mir sympathisch erschien und an den ich mich in den kommenden zwei Jahren
     würde halten können. Zunächst musterte ich die Frauen. Waren ein paar Hübsche darunter, ging man gleich viel lieber zu den
     Seminarveranstaltungen. Natürlich würde ich meiner Freundin Melanie nichts davon erzählen. Zu meiner Enttäuschung bestätigten
     die meisten angehenden Referendarinnen jedoch den |36| Eindruck, der sich mir schon an der Freien Universität Berlin aufgedrängt hatte, dass Lehrerinnen in der Regel auch wie Lehrerinnen
     aussehen: strenge Gesichtszüge, zahlreiche Brillen, viele diszipliniert nach hinten gezogene und zu Zöpfen gebundene Haare,
     um den Hals geschlungene Seidentücher, Blazer, Blusen. Die Magersüchtige neben mir trug sogar eine Rüschenbluse und einen
     Hosenanzug. Alles in allem war also eher wenig Weiblichkeit im Raum. Den meisten Frauen sah man an, dass sie seit Jahrzehnten
     von nichts anderem träumten, als Lehrerin zu werden. Einige schienen auch schon deutlich älter als ich. Vielleicht hatten
     sie vorher promoviert. Melanie brauchte sich wirklich keine Sorgen zu machen. Oder doch?
    Nur zwei Reihen weiter vorne, die Dunkelblonde mit den langen Haaren, sie fiel aus dem Rahmen. Mit ihrem schwarzen Hemd und
     den Jeans eher leger gekleidet, hatte sie von schräg hinten aus betrachtet ein recht hübsches Gesicht und, soweit es für mich
     erkennbar war, einen durchaus femininen Körper. Sie war möglicherweise sogar noch unter dreißig. Ein Lichtblick! Schade, dass
     sie nicht neben mir saß. So konnte ich sie nicht besser in Augenschein nehmen. Wäre ich noch mit dem Mut und der
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