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Flut

Flut

Titel: Flut
Autoren: Daniel Galera
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geschlafen in letzter Zeit, aber es lohnt sich, er zahlt gut. Außerdem gebe ich weiter Schwimmunterricht. Neulich hab ich es endlich geschafft, mein Auto zu reparieren. Sieht aus wie neu. Hat mich zwei Tausender gekostet. Und letzten Monat war ich eine Woche mit Antônia am Strand in Santa Marta. Die Rothaarige. Ach, stimmt, die hast du nicht mehr kennengelernt. Zu spät, wir haben uns danach getrennt. Ich glaube, das war’s schon, Papa. Alles andere ist wie immer. Warum liegt die Pistole da?
    Wie war die Rothaarige? Deinen Geschmack hast du von mir geerbt.
    Papa.
    Ich sag dir gleich, warum die Pistole da liegt, okay? Mann, tchê , merkst du nicht, dass ich mich erst mal ein bisschen unterhalten will?
    Okay.
    Scheiße.
    Okay, Entschuldigung.
    Willst du ein Bier?
    Wenn du auch eins trinkst.
    Das werde ich.
    Sein Vater hievt sich mühsam aus dem weichen Sessel. Die Haut an seinen Armen und seinem Hals hat im Laufe der letzten Jahre einen rötlichen Ton angenommen und insgesamt etwas Hühnerhaftes. Als er und sein älterer Bruder Jugendliche waren, spielte er hin und wieder Fußball mit ihnen, und bis Anfang vierzig ging er phasenweise ins Fitnessstudio, aber seitdem, als hätte es etwas mit dem wachsenden Interesse seines Jüngsten für diverse Sportarten zu tun, hat er beharrliches Sitzfleisch entwickelt. Er hatte immer gegessen und getrunken wie ein Pferd, seit dem sechzehnten Lebensjahr Zigaretten und Zigarren geraucht und Kokain und Halluzinogene genommen, so dass es ihm mittlerweile nicht mehr ganz leichtfällt, seine müden Knochen durch die Gegend zu schleppen. Auf dem Weg in die Küche kommt er durch den Flur, wo an den Wänden etliche Preise hängen, gerahmte Urkunden und Schilder aus gebürstetem Metall mit Datumsangaben aus den achtziger Jahren, dem Höhepunkt seiner Karriere als Werbetexter. Auf der Mahagoniplatte eines Gläserschranks im Wohnzimmer stehen zwei weitere Trophäen. Beta folgt ihm zum Kühlschrank. Die Hündin wirkt genauso alt wie ihr Besitzer, ein lebendes Totem, das fast geräuschlos hinter ihm herläuft. Die Sinnlosigkeit dieses Sonntagnachmittags und der Anblick seines Vaters, der schwerfällig an den Erinnerungen an eine lang zurückliegende berufliche Glanzzeit vorbeitrottet, den treuen Hund im Schlepptau, erwecken in ihm eine so unerklärliche wie vertraute Betroffenheit, ein Gefühl, das ihn manchmal überkommt, wenn er sieht, wie jemand verzweifelt versucht, eine Entscheidung zu fällen oder irgendein unbedeutendes Problem zu lösen, als hinge das ganze Leben davon ab. Sein Vater ist am Rande seiner Kräfte,kurz davor aufzugeben. Die Kühlschranktür öffnet sich mit einem ächzenden Schmatzen, er hört Glas klirren, und Sekunden später sind sein Vater und die Hündin zurück, viel unbeschwerter als zuvor.
    Santa Marta, das ist doch bei Laguna, oder?
    Genau.
    Sie drehen die Deckel der Bierflaschen ab, die Kohlensäure steigt mit einem verächtlichen Zischen aus den Flaschenhälsen, sie stoßen auf nichts Bestimmtes an.
    Ich bereue es, nicht öfter nach Santa Catarina an die Küste gefahren zu sein. In den Siebzigern haben das alle gemacht. Deine Mutter auch, bevor sie mich kennenlernte. Ich hab sie dann mit in den Süden genommen, nach Uruguay und so. Die Strände in Santa Catarina waren mir irgendwie unheimlich. Mein Vater ist in der Nähe von Laguna ums Leben gekommen. In Garopaba.
    Es dauert einen Augenblick, bis ihm bewusst wird, dass die Rede von seinem Großvater ist, der starb, bevor er auf die Welt kam.
    Mein Opa? Du hast immer gesagt, du wüsstest nicht, wie er gestorben ist.
    Hab ich das?
    Mehrmals. Weder wie noch wo er gestorben ist.
    Hm. Kann sein. Wahrscheinlich hab ich das wirklich gesagt.
    Obwohl es gar nicht stimmte?
    Sein Vater überlegt kurz, bevor er antwortet. Es sieht nicht aus, als wolle er Zeit gewinnen, er denkt wirklich nach, vielleicht gräbt er in der Erinnerung oder sucht nur nach Worten.
    Nein, es stimmte nicht. Ich weiß, wo er gestorben ist und auch mehr oder weniger wie. Es war in Garopaba. Deswegen hatte ich auch keine große Lust, in die Gegend zu fahren.
    Wann?
    Das war 1969. Den Hof in Taquara hat er 1966 verlassen.In Garopaba muss er zirka ein Jahr später gelandet sein, dann hat er zwei Jahre lang dort gelebt, bis sie ihn umgebracht haben.
    Ein kurzes Lachen entweicht ihm aus Nase und Mundwinkel. Sein Vater lächelt ihn an.
    Was soll das heißen, Papa? Sie haben ihn umgebracht?
    Du lächelst genau wie dein Großvater, weißt du das?
    Nein. Ich
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