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Flug 2039

Flug 2039

Titel: Flug 2039
Autoren: Chuck Palahniuk
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aus.
    Der Anblick Adams war für mich wie ein Blick in den Spiegel. Er war nur drei Minuten und dreißig Sekunden älter als ich, aber in der Kolonie der Credisten gab es so etwas wie Zwillinge nicht. Er war mein älterer Bruder.
    An diesem Abend, an dem ich Adam Branson zum letzten Mal sah, hielt ich meinen großen Bruder für einen sehr freundlichen und sehr klugen Mann.
    So dumm war ich damals.

Kapitel 44
    Es gehört zu meinem Job, mir das geplante Menü für die Dinnerparty heute Abend vorher anzusehen. Das heißt, ich muss mit dem Bus von dem Haus, in dem ich arbeite, zu einem anderen großen Haus fahren und dort irgendeinen fremden Koch fragen, was man für das Essen eingeplant hat. Meine Arbeitgeber haben für Überraschungen nichts übrig, also gehört es zu meinem Job, ihnen rechtzeitig mitzuteilen, ob man heute Abend von ihnen erwartet, irgendetwas Kompliziertes wie einen Hummer oder eine Artischocke zu essen. Steht etwas Bedrohliches dieser Art auf dem Speiseplan, muss ich ihnen erklären, wie man das richtig zu sich nimmt.
    So verdiene ich mein Geld.
    Der Mann und die Frau, die das Haus bewohnen, in dem ich putze, sind nie da. Das liegt an der Arbeit, die sie machen. Das wenige, was ich von ihnen weiß, habe ich aus den Dingen geschlossen, die ich für sie sauber mache. Aus den Gegenständen, die ich ihnen hinterher räume. Aus der Unordnung, die ich Tag für Tag für sie beseitige. Zum Beispiel muss ich ihre Videos zurückspulen:
    Begleitagentur Anal Total.
    Die Riesentitten von Letha Weapons. Die Abenteuer von Sinderella.
    Wenn mein Bus mich hier absetzt, sind die Leute, für die ich arbeite, bereits in der Stadt und arbeiten. Wenn sie nach Hause kommen, bin ich schon wieder in der Stadt in meiner Einzimmer-Sozialwohnung; früher war das bloß ein winziges Hotelzimmer, bis jemand einen Herd und einen Kühlschrank da reingestopft hat, um die Miete raufsetzen zu können. Das Bad ist immer noch auf dem Flur.
    Die Gespräche mit meinen Arbeitgebern finden ausschließlich über ein Freisprechtelefon statt. Das ist so ein Plastikkasten, der bei ihnen in der Küche steht und mich anschreit, dass ich schneller machen soll.
    Zweites Buch der Chronik. Kapitel sechsunddreißig, Vers neunzehn:
    »… und alle ihre Paläste brannten sie mit Feuer aus, dass alle ihre köstlichen Geräte verderbt wurden …« irgendwie so weiter. Man kann nicht die ganze Bibel im Kopf haben. Dann hätte man keinen Platz mehr, sich seinen Namen zu merken.
    Das Haus, in dem ich seit sechs Jahren putze, entspricht den üblichen Erwartungen, es ist groß und liegt in einem echten Nobelviertel. Jedenfalls verglichen mit dem, wo ich wohne. Die Wohnungen in meiner Gegend haben was von einer warmen Klobrille. Eben hat noch jemand drauf gesessen, und kaum ist man aufgestanden, kommt der Nächste.
    In dem Stadtteil, in den ich jeden Morgen zur Arbeit fahre, hängen überall Bilder in den Wohnungen. Hinter der Eingangstür sind jede Menge Zimmer, die nie betreten werden. Küchen, in denen niemand kocht. Bäder, die niemals schmutzig werden. Meine Arbeitgeber lassen Geld herumliegen, um mich auf die Probe zu stellen: Werde ich es nehmen? Immer mindestens einen 50-Dollar-Schein, der wie zufällig hinter der Frisierkommode liegt. Ihre Kleider sehen aus wie von einem Architekten entworfen.
    Neben dem Freisprechtelefon liegt ein fetter Terminkalender, in den sie alles eintragen, was ich zu tun habe. Ich bin praktisch für die nächsten zehn Jahre ausgebucht. Für diese Leute reduziert sich mein Leben auf einen Punkt in einer Liste. Auf bestimmte Aufgaben. Mein Leben streckt sich zu einer Geraden.
    Die kürzeste Strecke zwischen zwei Punkten ist ein Zeitplan, ein Stundenplan, der Fahrplan für den Rest deines Lebens.
    Nichts macht einem die gerade Linie von hier bis zum Tod so anschaulich wie eine Liste.
    »Ich will Ihren Terminkalender sehen«, schreit es mich aus dem Lautsprecher an. »Ich will wissen, wo genau ich Sie heute in fünf Jahren um sechzehn Uhr finden kann. Ich verlange von Ihnen genaue Angaben.«
    Wenn man das, was einen im Leben erwartet, schwarz auf weiß vor sich sieht, empfindet man jedes Mal eine gewisse Enttäuschung. Wie wenig man verwirklichen kann. Das Resümee der eigenen Zukunft.
    Es ist Samstag, vierzehn Uhr, und laut Terminkalender soll ich fünf Hummer kochen, damit sie üben können, wie man diese Tiere isst. So viel Geld verdienen diese Leute.
    Wenn ich Kalbsfleisch essen will, muss ich es im Bus auf dem Schoß nach
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