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Flug 2039

Flug 2039

Titel: Flug 2039
Autoren: Chuck Palahniuk
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der Straße. Man kann nicht vorsichtig genug sein. Bei McDonald’s kann man sich wenigstens darauf verlassen, dass die Mädchen sauber sind. Und die Chancen stehen sehr gut, dass sie jung sind. Pickeljung. Kicherjung. Albernjung und so dumm wie ich.
    Achtzehn, neunzehn, zwanzig Jahre alte Mädchen, mit denen ich bloß reden will. Collegemädchen. Ältere Highschoolmädchen. Emanzipierte Minderjährige.
    Bei den Selbstmörderinnen, die mich anrufen, ist es das Gleiche. Die meisten von ihnen sind sehr jung. Stehen mit nassen Haaren an einem öffentlichen Telefon heulend im Regen und flehen um Hilfe. Tagelang allein im Bett zusammengerollt, rufen sie mich an. Mich, den Messias. Rufen mich an. Den Erlöser. Sie schniefen und würgen und erzählen mir in allen Einzelheiten, was ich von ihnen wissen will.
    Es ist manchmal so überaus wunderbar, ihnen in der Dunkelheit zu lauschen, wenn sie nachts anrufen. So ein Mädchen vertraut mir einfach. Den Hörer in der einen Hand, stelle ich mir vor, die andere Hand wäre sie.
    Nicht dass ich heiraten will. Ich bewundere Männer, die nichts anderes als eine Tätowierung brauchen.
    Nachdem die Zeitung die Telefonnummer korrigiert hatte, sind die Anrufe allmählich abgeflaut. Die Scharen von Leuten, die anfangs bei mir angerufen hatten, waren alle entweder tot oder stinksauer auf mich. Neue riefen nicht an. Bei McDonald’s wollte man mich nicht, also ließ ich mir einen Stapel großer Aufkleber machen.
    Die Aufkleber sollten auffällig sein. Man sollte sie nachts und mit von Drogen oder Alkohol verweinten Augen gut lesen können. Meine sind einfach schwarz auf weiß mit folgendem Text:
    Gib dir und deinem Leben noch eine letzte Chance. Ruf mich an, ich kann dir helfen. Dazu meine Telefonnummer.
    Die andere Möglichkeit:
    Wenn du weiblich und jung und sexuell verantwortungslos bist und Probleme mit Alkohol hast, lass dir von mir helfen. Ruf mich an – und dann meine Telefonnummer.
    Ehrlich. Einen Aufkleber wie den zweiten solltet ihr lieber nicht verwenden. Ihr bekommt sonst garantiert Besuch von der Polizei. Die suchen sich über die Telefonnummer euren Namen heraus, um ihn dann auf die Liste der potenziellen Verbrecher zu setzen. Und von da an hört ihr bei jedem einzelnen Telefonat das leise Klicken, mit dem sich die Abhöranlage einschaltet.
    Ehrlich.
    Wenn ihr einen Aufkleber wie den zuerst genannten verwendet, bekommt ihr dagegen Anrufe von Leuten, die ihre Sünden beichten, ihr Leid klagen, um Rat und Beistand bitten.
    Die Mädchen, die ihr dabei kennen lernt, sind nie sehr weit von der totalen Katastrophe entfernt. Ihr bekommt einen ganzen Harem von Frauen, die sich, mit den Nerven völlig am Ende, ans Telefon klammern und euch anflehen, bitte, ruf mich zurück. Ruf mich zurück, bitte.
    Ihr könntet mich ein sexuelles Raubtier nennen, aber wenn ich an Raubtiere denke, denke ich an Löwen, Tiger, große Katzen, Haie. Mit der Beziehung zwischen Raubtier und Beute hat das bei mir aber nichts zu tun. Ich bin auch kein Aasfresser, kein Geier, keine Fleckenhyäne. Noch bin ich ein Parasit, der seinen Wirt zerstört.
    Uns geht es gemeinsam schlecht.
    Was das Gegenteil eines Verbrechens ohne Opfer ist.
    Ganz wichtig ist es, dass ihr die Aufkleber an öffentlichen Telefonen anbringt. Versucht es in verdreckten Telefonzellen in der Nähe von Brücken über tiefen Gewässern. Klebt sie an Hauswände in der Nähe von Kneipen, aus denen Leute, die keinen Platz zum Schlafen haben, nach der Sperrstunde rausgeworfen werden.
    Ihr werdet im Handumdrehen im Geschäft sein.
    Ihr müsst euch ein Freisprechtelefon anschaffen, damit eure Stimme so klingt, als würdet ihr aus einem tiefen Loch sprechen. Und wenn euch jemand in seiner Not anruft, betätigt ruhig mal die Toilettenspülung. Oder den Küchenmixer. Damit der andere weiß, wie schnurzegal euch das alles ist.
    Seit neuestem benutze ich ein schnurloses Telefon mit Kopfhörern. Eine Art Walkman für menschliches Elend. Leb oder stirb. Sex oder Tod. Auf diese Weise hat man jederzeit für Entscheidungen über Leben und Tod die Hände frei, wenn mal wieder jemand anruft, um von der einzigen großen Sünde seines Lebens zu erzählen. Ihr ordnet Buße an. Ihr sprecht Urteile aus. Ihr gebt Männern, die kurz vor dem Selbstmord stehen, die Telefonnummern von Mädchen, denen es genauso geht.
    Es ist wie bei den meisten Gebeten: Hauptsächlich bekommt ihr Klagen und Forderungen zu hören. Hilf mir. Hör mir zu. Leite mich. Vergib mir.
    Das Telefon
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