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Fluesterndes Gold

Fluesterndes Gold

Titel: Fluesterndes Gold
Autoren: Carrie Jones
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Eisenstangen, Klebeband und Besteck. Es sieht bizarr aus, wie ein Disney-Haus, das von einem zornigen Filmemacher verfremdet wurde.
    »Gut«, sage ich.
    »Gut.« Meine Mutter nimmt meine Hand und führt mich zurück zum Schneemobil.
    In der Ferne heulen die Elfen.
    »Ich kann es nicht mehr sehen«, sagt Issie.
    Aber ich.
    »Du bist jetzt zu weit weg«, erklärt Gram. »Der Zauber versteckt es vor Menschen und Wandelwesen.«
    Ich kann es immer noch sehen.
    Irgendwo im Haus kreischt ein Elf. Der Wald scheint unter dem Gewicht des Lärms zu wanken.
    Niemand sagt etwas, nicht einmal, als wir auf die Schneemobile steigen und wegfahren. Manchmal gibt es keine Worte. Manchmal stellst du dich deinen Ängsten, fängst sie ein und sperrst sie weg.
    Die Tage verrinnen, und wir kämpfen uns durch sie hindurch. Meine Mom und ich fahren täglich mit Schneemobilen hinaus und beobachten das Haus.
    »Ich kann es nicht sehen«, sagt sie.
    »Das liegt daran, dass du zu hundert Prozent ein Mensch bist«, erkläre ich ihr.
    »Wenn der Zauber wirkt, dann muss er noch am Leben sein.« Sie stellt das Schneemobil ab, und wir schauen einfach geradeaus. »Ich sehe nicht einmal den Draht.«
    Ich sehe alles. Das ist meine Elfenseite. Es sieht lächerlich aus. Ein wunderschönes Haus, das ringsum von Eisenstangen und Stacheldraht umgeben ist. Die Fenster sind mit Gabeln, Messern und Löffeln beklebt.
    Der Wind wirbelt den lockeren Schnee um uns herum auf, lauter kleine Schneestürme. Ich schließe die Augen, weil es so kalt ist.
    »Alles in Ordnung, Süße? Tut dir der Arm weh?«, fragt sie.
    »Mir geht’s gut«, antworte ich und öffne die Augen. Es ist sinnlos, dass ich versuche, das Haus auszublenden. Ich sehe es in meinen Träumen.
    »Die Barriere ist sicher, oder?«, frage ich. »Sie können nicht raus.«
    Sie nickt. »Sie können nicht raus. Das war wirklich schlau von dir.«
    Sie beugt sich aus dem Schneemobil und nimmt eine Handvoll Schnee. Dann formt sie einen Schneeball und wirft ihn gegen das Haus. Auf einmal sieht sie jünger aus, voller Energie, viel eher so wie damals, als mein Dad noch am Leben war.
    »Das hat gutgetan, obwohl ich nicht sehen konnte, wo ich getroffen habe.« Sie lächelt. »Soll ich dir auch einen machen?«
    Es ist verrückt, wie wir uns verändern können, wie sogar deine Mutter, die du bisher für den größten Feigling auf Gottes Erdboden gehalten hast, auf einmal einem übernatürlichen Wesen gegenüber so knallhart sein kann.
    Ich strecke die Hand nach dem Schneeball aus. »Ja, gern.«
    Jeder kann mutig sein, oder?
    Ich kenne mich da aus. Ich werfe den Schneeball. Er trifft die Seitenwand des Hauses, bricht auseinander und fällt zu Boden. Meine Mutter legt einen Augenblick den Arm um mich, und wir stehen einfach da.
    Es ist erst eine Woche her, dass der Elfenkönig im Wohnzimmer meiner Großmutter stand. Ich gehe wieder zur Schule, aber alles ist anders. Mein Arm ist eingegipst. Ich kann nicht laufen, deshalb hat Issie mich dazu verdonnert, den jährlichen Herbstball an Halloween zu planen.
    Meine Mom und ich wissen noch nicht, ob wir nach Charleston zurückgehen. Vielleicht bleiben wir auch hier. Es wäre nicht fair, wenn nur Devyn und Issie, Mrs. Nix, Gram und Nick kontrollieren müssten, ob die Elfen noch im Haus eingesperrt sind.
    »Mir tut das alles so schrecklich leid«, sagt sie, bevor sie das Schneemobil anlässt. Das sagt sie mir jeden Tag.
    Und ich antworte wie jeden Tag: »Ich weiß.«
    Meine Mutter bringt mich zur Schule. Sie hat Yoko beschlagnahmt, was ich total unfair finde.
    »Beeil dich. Du bist spät dran.«
    Ich haste mit dem Klingeln durch die Tür und will gleich ins Zimmer unseres Klassenlehrers, da hält Nick mich am Arm fest und zieht mich in das Kämmerchen, wo die Sportutensilien aufbewahrt werden. Fußbälle und Tornetze umgeben uns. Es riecht nach ledernen Sportgeräten, Schimmel und nach Nick. Wir stehen uns sehr nah gegenüber. Ich schaue zu ihm auf. Auf seinem Kinn sprießen Bartstoppeln, sodass die klaren Linien seines Profils ganz ausgefranst wirken.
    »Jay Dahlberg geht es besser«, sagt er. Seine Augen sind dunkel und traurig. »Er erinnert sich an nichts. Seine Eltern sagen, dass sein Gehirn ihn auf diese Weise schützt.«
    Ich schlucke. »Das ist gut.«
    »Alle denken, dass Megan weggezogen ist. Niemand weiß, was passiert ist – dass Betty sie getötet hat. Und von Ian glauben sie, er sei vom selben Typen entführt worden wie Jay. Ians Angehörige sind außer sich, sie
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