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Fluesterndes Gold

Fluesterndes Gold

Titel: Fluesterndes Gold
Autoren: Carrie Jones
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herein, kaum dass die Stewardess die Flugzeugtür geöffnet hat. Ich fröstle.
    »Tja, wir sind nicht mehr in den Tropen«, meint der Typ neben mir und holt einen Parka aus seinem Handgepäck. Er ist viel schlauer, als ich ihm zugetraut hätte. Mein Dad sagte oft, man sollte von anderen Menschen stets das Beste erwarten.
    Angeblich hatte mein Dad einen Herzanfall, aber in Wahrheit hat sein Herz ihn im Stich gelassen. Es hat einfach nicht mehr geschlagen und das kostbare Blut nicht mehr durch seine Venen gepumpt. Es ist einfach stehen geblieben.
    Er starb auf dem Fußboden unserer Küche neben einer Wasserflasche, die ich fallen gelassen hatte. Das klingt nicht so, als dürfe es wahr sein, aber es ist wahr.
    Jedenfalls rutsche ich auf den Stufen aus, die aus dem Flugzeug hinaus auf das geteerte Rollfeld führen. Der Mann hinter mir (alias mein Sitznachbar) greift nach meinem Arm.
    »Es ist schwer, die Welt zu retten, wenn du mit dir selbst nicht klarkommst«, sagt er. So ein Klugscheißer.
    Ich stolpere ein bisschen, und in meinem Magen bildet sich ein Knoten.
    »Was?«, frage ich, obwohl ich ihn verstanden habe. Ich kann nur nicht fassen, dass er es gesagt hat. Es ist so gemein. Er wiederholt es nicht.
    Eine Windbö schlägt mir die Haare ins Gesicht. Ich ducke mich, als würde mich das vor dem Wind schützen.
    »Willkommen in Maine«, sagt die Stewardess am Fuß der Gangway.
    Sie lächelt nicht.
    Jetzt in diesem Augenblick fürchte ich mich vor meiner Hilflosigkeit, als ich zusehe, wie mein Dad auf unserem Küchenboden an einem Herzanfall stirbt.
    Aber das ist schon passiert, oder?
    Also nehme ich mit meiner zweitgrößten Angst vorlieb, der Angst vor Kälte. Cheimaphobie, auch bekannt als Cheimatophobie oder Frigophobie oder Psychophobie. Es gibt viele Namen für diese eine Angst.
    Ich bin Kälte nicht gewöhnt. Aber bald werde ich mich an sie gewöhnt haben. Man muss sich seinen Ängsten stellen. Das hat mein Dad immer gesagt. Du musst dich ihnen einfach stellen.
    Und um mich ihnen zu stellen, singe ich sie vor mich hin. Bei jedem Schritt auf dem rutschigen Asphalt zum Terminal hinüber flüstere ich einen anderen Namen:
    Cheimatophobie.
    Frigophobie.
    Psychophobie.
    Cheimaphobie.
    Warum hilft das Benennen der Angst kein bisschen?
    Meine Großmutter Betty wartet im Terminal. Kaum erspäht sie mich, stiefelt sie wie ein Waldarbeiter auf mich zu und umschlingt mich in einer festen Umarmung. Sie ist gebaut wie mein Dad, und ich schmiege mich an sie, glücklich, dass ich nicht mehr allein bin, aber zugleich enttäuscht, dass sie nicht er ist.
    »Was für ein erfreulicher Anblick. War die Reise anstrengend?«, fragt sie und schiebt mich dann auf den Parkplatz hinaus und hinauf in das Führerhaus ihres schwarzen Pick-ups. Meinen Koffer und meinen Rucksack verstaut sie auf der Ladefläche. Den Rest meiner Sachen aus Charleston haben wir schon per Post geschickt, obwohl all die TShirts und Trägertops in Maine vollkommen überflüssig sind. Sie kommt wieder nach vorn und lächelt mich an, während ich mich abmühe, in das Führerhaus zu klettern.
    »Das ist ein Ungetüm, Betty«, sage ich, während ich mich hineinhieve. Ich fange an zu zittern. Ich kann nichts dafür. Meine Knochen fühlen sich an, als hätte die Kälte sie zerbrochen. »Dein Laster ist ein ganz schöner Brummer.«
    Sie tätschelt das Armaturenbrett und lacht. »Das will ich meinen. Um so mehr Hintern kann man transportieren.«
    »Hintern transportieren?«
    »Soll ich lieber Ärsche sagen? Ich möchte nicht dein Zartgefühl verletzen.«
    Zartgefühl? Ich muss fast lachen, kann es aber nicht richtig. »Ist er neu?«
    »Jep. Hat deine Mutter dich zum Flughafen gebracht?«, fragt sie.
    »Sie hat geweint.« Mein Finger fährt an der Kante entlang, wo das Fenster auf die Tür trifft, und hält inne. »Ich habe mich grässlich gefühlt, als sie geweint hat.«
    Ich traue mich, ihr in die Augen zu sehen. Sie sind von einem hellen Bernsteinbraun wie die meines Dads und stehen zu den Schläfen hin ein winziges bisschen schräg. Der Blick aus den Augen wird weicher, während ich sie ansehe. Da ich meinen biologischen Vater nicht kenne, habe ich außer Grandma Betty keine Großeltern. Die Eltern meiner Mutter sind gestorben, als sie ein Teenager war. Sie hat hier bei Betty und deren Mann Ben, und meinem Dad gelebt, bis sie die Highschool abgeschlossen hatte. Finde ich toll, dass Betty sie einfach aufgenommen hat, fast so, wie sie jetzt mich aufnimmt.
    Betty nickt und
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