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Fluegellos

Fluegellos

Titel: Fluegellos
Autoren: Lucy Cardinal
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die Lippe. Mist. Wieso kamen mir die besten Ideen genau dann, wenn es zu spät war?
    Der Akku wäre sowieso leer gewesen , dachte ich.
    »Du warst ein bisschen unvorsichtig«, murmelte ich. Sollte ich sie reinlegen? Sagen, dass unser ganzes Gespräch von jemandem belauscht worden war?
    Nein. Dadurch drängte ich sie in die Ecke, und dann handelte sie unüberlegt. Instinktiv. Verzweifelt. Dann war sie gefährlich.
    Ihr Blick huschte auf meinen nackten Fuß. Er war leicht blutig, aber den Schmerz spürte ich nicht.
    Sie nickte langsam. »Keine Spielchen«, wiederholte sie nur und setzte ihren Weg zur Tür fort. Dann verließ sie den Keller, ließ das Licht brennen, und war wenige Sekunden später nicht mehr zu hören.
    Ich war allein.
    Ich schloss die Augen und kämpfte gegen die Tränen an, die wieder in mir aufstiegen. Ich durfte nicht weinen, nicht jetzt. Ich durfte um keinen Preis mein Make-Up ruinieren. Ich durfte Emilia keinen Grund geben, die Aufnahme anzuzweifeln. Denn hatte ich eine Wahl? Gab es auch nur den Deut einer anderen Möglichkeit, als ihr einfach zu gehorchen und alles, was ich wusste, zu erzählen?
    Ich starrte in das gnadenlos schwarze Auge des Camcorders, das mich durchgehend beobachtete, jeden Schritt filmte, jedes Wort mitschnitt.
    »Mein Name ist Nina«, begann ich und nahm tief Luft. »Nina Schreiber.«
    Ich durfte das nicht tun. Ich durfte diese Geschichte nicht an die Öffentlichkeit kommen lassen. Aber ich hatte keine Wahl.
    Ich wischte die Gedanken beiseite und fuhr fort. »Ich bin ein Engel. Oder zumindest würde ich das so nennen«, hängte ich hinten dran, als mir bewusst war, dass ich es nicht vertrug, mir diesen Namen zu geben. Weil er falsch war. Gelogen. Ich war kein Engel. Aber kurz davor, mich als ein solcher zu verkaufen und irgendwo auf einem Seziertisch zu landen.
    Dann huschten plötzlich Zweifel durch meinen Kopf.
    Ich lebte ein Leben, das ich mehr als alles in ihm hasste. Ich konnte nicht lieben, verlor Freundschaften deswegen, verlor jede, restliche Freude. Viel schlimmer war es dann auch nicht, von jedem schräg angesehen und vielleicht gefürchtet zu werden. Andererseits hatte ich auch die Möglichkeit auf ein ganz anderes, neues Leben, eines, in dem ich lieben konnte. Ich hatte einen Plan und war mir fast sicher, dass er funktionieren würde, wenngleich ich Valentin noch nicht ganz auf meiner Seite hatte. Aber noch war nichts verloren. Also wollte ich hier sitzen bleiben, diese Möglichkeit – diese Chance – einfach wegwerfen und mich einem hässlichen Schicksal hingeben? Oder wollte sie ergreifen?
    Die Wahl war einfach: Ich musste hier fort.
    Ich nahm tief Luft und sammelte die ganze, aufgestaute Wut in meinen Beinen. Mit einem kräftigen Tritt beförderte ich das Stativ zu Boden. Sofort schlug die Kamera unsanft auf dem Beton aus und ein leises, krachendes Geräusch entstand. Ich kam mir beobachtet vor, wenn mich dieses schwarze, eiskalte Auge durchgehend anstarrte. Und ich konnte mich nicht entspannen, wenn ich mir beobachtet vorkam.
    Ich musste es schaffen, ganz gleich, wie unmöglich es mir vorhin noch vorgekommen war.
    Denn da draußen, in der Wohnung über mir, saß die einzige Person, die mich vermutlich noch retten konnte. Valentin. Ich musste ihm bloß noch Bescheid sagen, dass ich hier war.

2 1
     
    Valentin saß auf dem Sofa und starrte in die Ferne. Er versuchte, irgendeinen Punkt zu finden, den er fixieren konnte, aber es gab keinen. Er erkannte keinen. Im Hintergrund hörte er das Ticken der Uhr, ein gleichmäßiger, heller Schlag, der andeutete, wie gnadenlos die Zeit verstrich. Mit jeder Sekunde, mit jedem Schlag, rückte jemand seinem Tod näher.
    Nina.
    Er schloss die Augen und schluckte den Schmerz hinunter, der in sein Bewusstsein kroch. Er hatte keine Ahnung, wo sie war. Sie war nicht zu Hause. Sie war nicht hier. Und dennoch hatte sie ihn angerufen und geschwiegen, wie schon vorher, obwohl er ihr ganz deutlich gesagt hatte, dass er ihr nicht helfen konnte.
    Irgendwie beschlich ihn das ungute Gefühl, dass sich etwas angetan hatte.
    Er hörte unterbewusst, wie sich die Wohnungstür öffnete und gleich darauf wieder schloss. Es war Emilia, die nur kurz im REWE um die Ecke gewesen war, um sich etwas zu essen zu kaufen. Das hatte sie ihm zumindest erzählt. Aber ob das jetzt der Wahrheit entsprach oder ob sie sich in Realität mit jemandem getroffen hatte, spielte keine Rolle. Sie spielte keine Rolle. Es ging gerade nur um Nina.
    »Da bin ich
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