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Fluegellos

Fluegellos

Titel: Fluegellos
Autoren: Lucy Cardinal
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andere können.
    Jahrelang war das gut gegangen. Jahrelang hatte ich beobachtet, wie die Menschen, deren Wege sich sonst wieder getrennt hätten, meinetwegen zusammenfanden. Es war ein erfüllendes Gefühl gewesen. Aber nicht so erfüllend wie das, welches mir verwehrt war.
    Aber mit der Zeit war auch die Freude daran vergangen. Sie war nur wie ein Schmerzmittel gewesen, dass das Gefühl der Leere übertönt hatte, aber geheilt hatte sie gar nichts. Das klaffende Loch in mir war noch immer da, uns mit jedem Tag schien es zu wachsen.
    Es machte mich kaputt. Es machte mich kaputt, zu sehen, wie andere Menschen den Blicken ihres Partners verfielen, wie sie sich küssten.
    Es hinterließ eine Sehnsucht in mir, die ich endlich vertreiben wollte. Ich wollte nicht länger diejenige sein, die zusah.
    Ich wollte diejenige sein, die diese Liebe selbst verspürte. Deswegen wollte ich dieses Engelsdasein um jeden Preis loswerden, um endlich anfangen zu können, richtig zu leben .
    Ich blinzelte die Erinnerungen fort und befand mich in wieder in der Gegenwart. Es fühlte sich gut an. Denn es war lange her gewesen, dass mir dieses Leben gefallen hatte, und jetzt war ich endlich kurz davor, es hinter mir zu lassen.
    Hoffte ich zumindest.
    Ich legte meinen Blick wieder auf die Pinnwand.
    1. Go tt
    Das war der erste Plan, den ich hatte, um den Engel in mir loszuwerden. Wenn ich ein Bote war – und dem war ich mir sicher – dann gab es irgendwo jemanden, der die Macht über das hatte, was mir widerfahren war. Gott, oder zumindest jemand sehr Ähnliches. Zumindest musste ich eine Art Boss besitzen. Und den wollte ich dazu bringen, mich von meiner Bürde zu befreien.
    Dieser Punkt war zur Hälfte durchgestrichen. Das lag daran, dass der Plan in zwei einzelne Pläne unterteilt war. Denn es gab zwei Möglichkeiten, jemanden zu etwas zu bringen: Entweder, man verhielt sich ihm gegenüber so freundlich wie möglich und versuchte, ihn so gnädig zu stimmen, oder aber, man versuchte es auf die harte Tour. Drohung. Provokation. Der erste Teil war fehlgeschlagen. Ich hatte gebetet, die Bibel studiert, war zur Kirche gegangen – hatte also alles getan, was ein guter Christ tun sollte. Aber das hatte nichts gebracht. Offenbar war Gott nicht durch freundliche Gesten gnädig zu stimmen.
    Also blieb mir nur noch die harte Tour. Und da war ich gerade bei. Provokation. Wenn ich damit drohte, alles, was mit Engeln zu tun hatte, ans Licht zu bringen, brachte ich meinen Boss hoffentlich ins Schwitzen und er nahm irgendwie mit mir Kontakt auf, um mich zu bitten, den Artikel nicht zu veröffentlichen.
    Es konnte sein, dass er mich einfach nur mundtot machte – wobei ich das Wort mund eigentlich auslassen konnte. Allerdings hoffte ich darauf, dass er zu einem Kompromiss bereit war: Ich verleugnete die Existenz von Engeln, und dafür befreite er mich von dieser Last und ich konnte wieder ganz normal leben und lieben. Deswegen würde früher oder später der Zeitpunkt kommen, an dem ich Emilia verraten musste, dass ich sie nur belogen hatte. Und diesen Moment fürchtete ich jetzt schon.
    Das war der Plan, von dem ich mir am meisten versprach. Aber es gab immer noch ein gewisses Restrisiko, dass er nicht aufging, und deswegen hatte ich die Liste um zwei – eigentlich drei – Punkte erweitert. Nur, um noch eine Alternative zu haben, auf die ich ausweichen konnte.
    2. Gehirn
    Diese Theorie schloss ich eigentlich aus. Ich war kein Psychopath. Aber wenn ich kein Engel war, stimmte vielleicht einfach mit meinem Gehirn etwas nicht. Eine Therapie konnte mir dann eventuell helfen, keine Stimmen mehr zu hören, wo keine waren, und nicht mehr das Gefühl zu haben, meinen Körper verlassen zu können.
    3. Umfeld
    Vor diesem Punkt graute es mir am meisten. Ich nahm an, dass meine nicht vorhandene Fähigkeit, zu lieben, damit zusammenhing, dass ich Gedanken von Verliebten hören konnte. Damit, dass ich ein Engel war. Vielleicht lag es aber auch nur daran, dass ich in meinem Umfeld niemanden hatte, der es wert war, ihn zu lieben. Auch, wenn ich mir das schwer vorstellen konnte. Ich hatte genug Beispiele: Silvio, mein italienischer Nachbar, dem vermutlich die gesamte, weibliche Seite von Köln zu Füßen lag. Jean, mein ehemaliger bester Freund, der der einfühlsamste und rücksichtsvollste Mensch war, den ich jemals kennengelernt hatte. Und nicht zuletzt Hollywood-Schönheiten wie Clooney, Depp oder Bloom, die genau gar nichts bei mir auslösten. Deshalb gab es ja
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