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Flügel aus Asche

Flügel aus Asche

Titel: Flügel aus Asche
Autoren: Kaja Evert
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heute. Ich muss … wie gesagt, noch etwas erledigen.«
    Wie einen körperlichen Schmerz spürte Adeen die Sehnsucht in sich, dem, was er gesehen hatte, eine feste Gestalt zu geben. Aber er schüttelte den Kopf. »Nicht deine Bilder. Sie sind viel zu schön – mein Gekritzel muss warten.«
    »Das Wort ›Gekritzel‹ will ich nicht mehr hören, Adeen. Du malst schon jetzt sehr ausdrucksvoll. Aber du brauchst Übung, um dich zu verbessern. Außerdem wird auch meine Bilder vielleicht nie jemand außer dir sehen. Wen kümmert es dann, wenn sie verlorengehen? Wenn unser Herrscher sie zu Gesicht bekäme, wäre das nicht nur das Ende der Bilder …« Rasmi fuhr sich mit dem Finger über die Kehle, um zu zeigen, was er meinte.
    »Es ist nicht gerecht.« Adeen ballte die Hand zur Faust, öffnete sie wieder und starrte auf seine Finger. »Wenn ich nur irgendetwas ändern könnte …« Aber seine schmalen Hände taugten gerade einmal dazu, ein Schreibrohr zu halten oder einen Pinsel.
Wenn ich einen Dolch hätte, könnte ich damit trotzdem nicht zustechen wie Charral – oder?
Laut sagte er: »Ich frage mich, ob auf dem Boden Bilder auch verboten sind. Was meinst du?«
    »Dort, wo der Schatten der Stadt hinfällt, sicher.« Rasmi rieb sich nachdenklich die Nase. »Aber wenn da unten irgendwo freie Menschen leben, bin ich sicher, sie dürfen malen, was ihnen in den Sinn kommt. Und sie ernten vielleicht sogar noch Anerkennung für ihre Kunst – so wie es früher auch hier einmal gewesen sein soll. Es fällt schwer, sich das vorzustellen, nicht?«
    Ehe Adeen antworten konnte, hämmerte es plötzlich an die Tür, eine rasche Folge von Klopfzeichen. Vor Schreck hätte sich Adeen beinahe an seinem Tee verschluckt. Rasmi stand starr, im Kerzenlicht wirkte sein Gesicht plötzlich bleich.
    »Wer ist das?« Unwillkürlich flüsterte Adeen.
    »Keine Sorge. Es ist … ein Freund. Aber ich denke, es ist besser, wenn du jetzt gehst.«
    »Stimmt etwas nicht? Du steckst doch nicht in Schwierigkeiten, oder?« Adeen kannte seinen Ziehvater genau: Immer, wenn Rasmi sehr beunruhigt war, wurde sein Gesicht ausdruckslos, so wie jetzt.
    »Nein, nein …« Rasmi hatte es eilig, ihn in Richtung Tür zu schieben. »Ich weiß, es ist unhöflich, dich so einfach rauszuwerfen, aber in ein paar Tagen können wir zusammen plaudern, ja? Du solltest ohnehin etwas schlafen, mit deinen Verletzungen …«
    Er entriegelte die Tür und öffnete sie. »Komm herein«, begrüßte er den Fremden mit sonderbarer, flacher Stimme, »mein Freund hier wollte gerade gehen.«
    Rasmis Gast trat hastig über die Schwelle. Es war ein hochgewachsener, hagerer Mann, der sich fast vollständig in einen Umhang gehüllt hatte. Die Kapuze ließ nur sein stoppliges Kinn frei. Er stützte sich auf einen knotigen Holzstock mit metallenem Griff.
    »Sie haben Ain«, sagte er mit kratziger, atemloser Stimme, während Rasmi die Tür hinter ihm schloss. Adeen war sicher, dass er ihn trotz Rasmis Hinweis nicht einmal wahrgenommen hatte.
    Rasmi wurde noch fahler. »Wie konnte das passieren?«
    »Wahrscheinlich hat sie sich vor der Lagerhalle etwas zu gründlich umgesehen und zu viele Fragen gestellt. Ich hatte sie gewarnt.«
    »Können wir ihr helfen?«
    »Nein. Wir müssen trotzdem weitermachen. Ain war glücklicherweise nicht in alles eingeweiht, aber der Herrscher kennt nun Zeit und Ort unseres Vorhabens. Daher müssen wir –«
    Jetzt hatte der Mann Adeen bemerkt und verstummte mitten im Satz. »Ist das dein Schüler, Rasmi?«, fragte er und deutete mit dem Griff seines Stockes auf Adeen.
    »Er hat nichts mit uns zu schaffen«, erwiderte Rasmi rasch. »Wie gesagt, er wollte gerade …«
    »Ich kann für mich selbst sprechen«, unterbrach Adeen ihn, einen Moment lang verärgert, dass Rasmi noch immer mit ihm umsprang, als wäre er ein kleiner Junge. »Worum geht es hier? Wer seid Ihr?«
    Einen Moment lang herrschte Schweigen. Der Mann schob die Kapuze etwas zurück und musterte Adeen gründlich. Er mochte Mitte vierzig sein, deutlich jünger, als der Stock erwarten ließ, hatte das zerfurchte Gesicht eines Mannes, der sich viel im Freien aufhielt, und aufmerksame Augen. Sein graues Haar trug er lang und im Nacken zusammengebunden. Trotz der abgewetzten Kleidung – der Saum seines Umhangs war ausgefranst und löchrig – strahlte er Autorität aus.
    »Rasmi«, sagte der Fremde, »kannst du deinem Schüler trauen?«
    »Ich will nicht, dass du Adeen da mit hineinziehst!«, protestierte
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