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Flügel aus Asche

Flügel aus Asche

Titel: Flügel aus Asche
Autoren: Kaja Evert
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Rashija hast du am wenigsten zu verlieren. Mischlinge wie du, ihr seid ein lebender Beweis dafür, dass jemand die Gesetze des Herrschers übertreten hat.«
    »Aber ich …«
    Der Mann ließ ihn nicht ausreden. »Was für ein Leben hast du vor dir? Die Magiekundigen werden dich schlagen, wenn sie Lust dazu haben. Sie werden ihre Zauber an dir erproben, ihre Hunde auf dich hetzen und deinen zerrissenen Körper für die Vögel liegen lassen. Auch wenn du ihrer Willkür bisher entkommen bist, das wird nicht so bleiben. Früher oder später …«
    »Hört auf!«, unterbrach ihn Adeen. Sein geschwollenes Gesicht bestätigte jedes einzelne Wort des Mannes, und so, wie er mit ihm sprach, schien es, als müsse Adeen sich für all die Demütigungen, die er hatte hinnehmen müssen, auch noch schämen. »Ich kann nichts gegen diese Zustände tun.«
    »Du kannst für das kämpfen, was richtig ist. Auch wenn sie dir immer wieder einbleuen, dass du wertlos bist, als Krähe bist du nicht weniger wert als ein Draquer oder einer von uns. Und wir brauchen deine Hilfe.«
    Adeen war nicht überzeugt, dass er dem Fremden trauen konnte. Der Mann war offenbar in einer Notlage und suchte jede Hilfe, die er bekommen konnte. Trotzdem schienen seine Worte ihren Weg direkt in Adeens Herz zu finden. Er warf einen vorsichtigen Blick auf Rasmi, doch sein Ziehvater lehnte nur mit zusammengepressten Lippen an seinem Arbeitstisch und hörte zu.
    »Ihr habt gesagt, Ihr wollt Kunstwerke vor der Verbrennung retten«, sagte Adeen. »Ich möchte wissen, was genau es damit auf sich hat und was Ihr plant.«
    »Du wirst nicht kämpfen müssen«, sagte der Mann, »das werden andere vorher erledigen. Wir brauchen deine Kraft, um die Bilder zu transportieren. Schnelle Beine werden auch nicht schaden.«
    »Aber diese Bilder – ich wusste nicht einmal, dass es noch andere in der Stadt gibt.«
    Diesmal war es Rasmi, der antwortete. Seine Stimme klang fremd und flach, und sein Blick schien durch Adeen hindurchzugehen. »Ich habe es dir vorhin gesagt, Rashija war nicht immer der Ort, der er jetzt ist. Früher, als die Stadt noch nicht fliegen konnte, suchte man den Kontakt zu vielen Ländern. Damals zog Rashija Händler, Künstler und Gelehrte von überall her an, und man hieß sie willkommen. Kunstwerke entstanden, wie sie heute nicht mehr geschaffen werden, denn die Ideen vieler flossen ineinander. Die Menschen wussten, dass auch ein Gemälde eine Tür für den menschlichen Geist sein kann, ein Freiraum für die eigenen Gedanken … ich weiß nicht, ob du mich verstehst, Adeen.«
    Adeen nickte zögernd. Rasmi sprach etwas aus, was er schon lange gefühlt und gewusst, wofür er aber noch keine Worte gefunden hatte.
    »Unsere Zeit ist anders. Der Herrscher trennte Rashija vom Rest der Welt und machte sie zu einer Insel im Himmel, um alles fernzuhalten, was nicht mit seinen Vorstellungen übereinstimmt. Seit er an der Macht ist, gibt es nur noch seine Bilder, seine Gedanken, seine … Geschöpfe.«
    So ist das also,
dachte Adeen voller Bitterkeit. Der Herrscher hatte alle Kunstwerke zerstören lassen, damit sich niemand mehr daran erinnern konnte, wie es einmal gewesen war. Jeder sollte sehen, dass nur noch sein Rashija existierte, dass nichts mehr übrig war von der Stadt, die fremden Menschen und Gedanken einmal Platz geboten hatte.
    Der Fremde fuhr fort: »Seitdem haben einige mutige Männer und Frauen versucht, Kunstwerke und Schriften zu retten. Der Bestand, von dem ich spreche, befand sich in Privatbesitz und konnte lange als Sammlung magischer Artefakte ausgegeben werden. Doch jetzt ist der Besitzer verstorben, die Tarnung ist aufgeflogen, und alle Objekte wurden in eine Lagerhalle gebracht. Wenn wir es nicht verhindern, werden auch sie bald in Flammen aufgehen.«
    Adeen empfand eine seltsame Sehnsucht danach, diese Bilder zu betrachten, fremde, freie Gedanken, Tore aus der Vergangenheit, die in eine bessere Welt führten. Oder war er nur ein törichter Träumer, der an diese bessere Welt glauben wollte? »Rasmi, hast du sie schon einmal gesehen?«
    »Ja«, erwiderte Rasmi. »Manche bestehen nur aus Farben, Formen und Bewegungen und sind keine Abbilder der Wirklichkeit – oder dessen, was für unseren Herrscher Wirklichkeit sein soll.«
    »Bald werden wir sie hoffentlich aus der Stadt und hinunter auf den Boden schaffen können«, sagte der Fremde. »Je weiter weg vom Herrscher, desto besser.«
    Adeen war sprachlos. In seine Bewunderung für Rasmis Mut
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