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Flucht vor den Desperados

Flucht vor den Desperados

Titel: Flucht vor den Desperados
Autoren: Caroline Lawrence
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steckt.«
    »Heureka«, rief der Doktor. Er hielt eine erbsengroße Kugel zwischen den Enden seiner Pinzette. »Hier ist der Übeltäter. Kaliber .22.«
    »Eine Kugel wie ein homöopathisches Kügelchen«, sagte Sam Clemens. »Da bräuchte es schon eine höhere Dosis, um unseren Pinky umzubringen. Trotzdem, meine Smith & Wesson sollte ich vielleicht lieber zurücknehmen.«
    »Darf ich sie bitte behalten?«, fragte ich. »Auch wenn ich von ihr angeschossen wurde?« Ich schaute Sam Clemens an. »Ich hoffe, Sie schreiben nichts über diese Sache«, fügte ich hinzu. »Wenn doch, kommen Walts Männer womöglich zurück und nehmen Rache.«
    Er seufzte tief. »Ja, du darfst die Waffe behalten. Und, nein, ich werde nichts darüber schreiben.« Dann senkte er seine Stimme und beugte sich zu mir. »Ich hatte gerade die Idee für eine Story über ein Indianermassaker, die auf deiner Geschichte beruht«, flüsterte er. »Die benutze ich stattdessen. Mit deiner Erlaubnis.«
    »Sehr gerne«, sagte ich.
    Vom anderen Ende des Zimmers sagte eine Stimme: »Poker Face Jace mag ja an verräterische Zuckungen und Ticks glauben, aber ich bin nicht überzeugt. Bist du sicher, dass Walt nicht dein Pa war?« Es war der junge Mann mit dem Bowler & dem Gehstock, der mit Sam Clemens getrunken hatte.
    »Das ist Mr Joe Goodman«, flüsterte Sam. »Der Besitzer der
Territorial Enterprise
und mein Boss.«
    »Ich bin sicher, dass Walt nicht mein Pa war«, sagte ich. »Ich habe ihn dazu gebracht, es zuzugeben.«
    »Wie?«, fragten mehrere Leute gleichzeitig.
    »Ganz einfach«, sagte ich. »Ich habe behauptet, dass ich eigentlich ein Mädchen bin und kein Junge, und dass er das gewusst hätte, wenn er wirklich mein Pa wäre. Das hat ihn umgehauen, und schon fing er an, mit der Wahrheit rauszurücken.«
    Alle starrten mich an. Sie sahen selbst ziemlich verblüfft aus. Sam Clemens war die Pfeife aus dem Mund gefallen.
    Jace ließ seinen Blick von einem zum andern schweifen und rieb sich den Nacken. »Aber da hast du bloß Blödsinn erzählt, oder, P. K.? Es war nur ein Bluff, damit er seine Karten auf den Tisch legt, oder?«
    »Ja«, sagte ich. Mir war ganz warm, und es kam mir vor, als schwebe ich. »Es war ein Bluff, damit er seine Karten auf den Tisch legt. Und es hat funktioniert.«

KONTOBUCHBLATT 48

    Am nächsten Nachmittag schaffte ich es endlich, ins Recorder’s Office auf der gegenüberliegenden Straßenseite der
Territorial Enterprise
zu gehen. Ich hatte mir eine Mischung aus Indianer-, Minenarbeiter- und Feiner-Pinkel-Kostüm angezogen. Als Ersatz für mein blutiges Wildlederhemd hatte mir Isaiah Coffin ein weiches & ausgewaschenes Flanellhemd gegeben, das einmal rot gewesen war, sowie ein dunkelblaues Jackett mit Messingknöpfen. Ich trug meine Wildlederfransenhose & meine weichen Wildleder-Mokassins, dazu den schwarzen Schlapphut mit der Habichtfeder, den Jace mir gegeben hatte. Und natürlich hatte ich meinen Medizinbeutel bei mir, unsichtbar verstaut.
    Ich war bereits beim Notar in der B Street gewesen. Dort hatte ich mir einen Stempel geben lassen & war anschließend zum Recorder’s Office auf der A Street gegangen. Es musste sich herumgesprochen haben, denn als ich dort ankam, zog ich eine Schar interessierter Beobachter & Freunde hinter mir her, einschließlich Dan De Quille,der gerade erst aus Carson City zurückgekehrt war. Zu seiner großen Erleichterung war er ganz geblieben.
    Es befanden sich bereits zwei Dutzend Männer im Recorder’s Office, zerzaust & bärtig, staubig & verlaust. Alle forderten lautstark den Eintrag ihres Claims, aber als sie mich mit meinem linken Arm in der Schlinge sahen, teilte sich die Menge wie das Rote Meer vor Moses.
    »Da ist er!«, sagte einer mit schwerem Cornwall-Akzent. »Der Junge, der Walt, den Schnitzer, erledigt hat.«
    »Hab gehört, er hat ihm mit einer winzigen Smith & Wesson direkt zwischen die Augen geschossen«, sagte ein anderer.
    »Ich hab gehört, er hat ihn zu Boden gerungen und ihn dann in eine bodenlose Grube voll mit kochendem Wasser geworfen.«
    »Der Schnitzer fällt wahrscheinlich immer noch in die Tiefe«, sagte ein dritter Bartträger und rieb sich dabei die Handflächen.
    »Wie kann eine Grube keinen Boden haben und trotzdem kochendes Wasser drin sein?«, fragte der erste Arbeiter.
    »Guten Morgen, junger Mann«, sagte der Mann hinter dem Schalter. Er hatte buschige rötliche Augenbrauen & einen Schnauzbart, der aussah, als hingen zu beiden Seiten seines Gesichts zwei
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