Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Flucht übers Watt

Titel: Flucht übers Watt
Autoren: dtv
Vom Netzwerk:
Kondenswölkchen. Am oberen Teil des Steges standen die Dalben im Watt, zum Ende hin wurde das Wasser schnell tiefer. Zwei Segeljollen hatten sich auf die Seite gelegt. Eine Gruppe von vier Austernfischern zog über Harry schrill piepend mehrmals größere Kreise.
     
    Als er den »Klabautermann« betrat, war es vorbei mit der guten Luft. In dem kleinen dunklen Raum roch es nach Bratfett und abgestandenem Rauch. Die Decke war mit einem angestaubten Fischernetz abgehängt, in dem ein Haifischgebiss, ein vertrockneter Hornhecht und allerlei Strandgut lag. Aus der Musikbox tönte Peter Maffay. Die wenigen Gäste, die Stammbesetzung, die Harry hier in den nächsten Tagen noch ein paarmal antreffen sollte, guckten kurz, aber interessiert zu ihm herüber.
    An der Theke auf einem der mit dunkelgrünem Kunststoff bezogenen Barhocker saß »Strandkorb-Peter«, vor sich ein Bier und ein leeres Schnapsglas, ein |58| vom Alkohol leicht aufgeschwemmter, aber braungebrannter Typ mit blonden gestuft geschnittenen Haaren, die im Nacken etwas länger über seine Jeansjacke hingen. Er war kein Insulaner, sondern kam vom Festland, aus Dithmarschen. In der Saison war er in Wittdün für die Strandkorbvermietung zuständig. Sie gehörten ihm nicht. Er kassierte vor Ort am Strand nur das Geld von den Badegästen, das heißt, den größten Teil des Tages saß er in seinem Strandkorb, sonnte sich und beschwerte sich bei ein paar Bierchen über das Wetter und die Touristen. Außerhalb der Saison machte er dasselbe, nur nicht mehr im Strandkorb, sondern an der Theke des »Klabautermanns«.
    Zwei Hocker weiter saß Elke, eine mittelalte Rheinländerin mit blondierten Haaren, die ihren stattlichen Busen unter einer bunten Ballonseidenjacke versteckte. Elke trank Weizen und Küstennebel, rauchte Kette und bequatschte Fred, den Wirt des Lokals, einen schmächtigen Mann in einem blauen längs gestreiften Fischerhemd mit strähnigem, aber für sein Alter noch vollem schwarzem Haar.
    »Fred, sach mal ehrlisch, wat soll isch in Mallorca oder so. Nordsee. Ist doch herrlisch. Schon die Luft.« Dabei klang ihre Stimme, als würde ihr ein bisschen mehr Nordseeluft ganz guttun.
    Der dritte Stammplatz an der Theke blieb zu Harrys Glück an diesem Mittag noch unbesetzt.
    Er setzte sich an den noch freien Fenstertisch und bestellte ein Bier und Sauerfleisch, nachdem der Wirt ihm mitgeteilt hatte, dass die Küche bereits geschlossen hätte.
    |59| »Ja nee, ich hab grad alles sauber«, kam auf Nachfrage von Wirt Fred eine weibliche Stimme aus der Küche. »Fischbrötchen oder Sauerfleisch würd noch gehen. Aber ohne Bratkartoffeln. Nur Brot.«
    »Ja, Mittach is vorbei«, brummte der braungebrannte Strandkorbvermieter mehr zu sich selbst.
    »Herbst ist die schönste Zeit«, versuchte jetzt die kölsche Blondine ein Gespräch in Gang zu bringen.
    »Un’ jetzt kommt sogar die Sonne dursch. Herrlisch.« Um unter den schweren Häkelgardinen hindurch einen Blick nach draußen zu erhaschen, reckte sie ihren blondierten Kopf zur Seite, sodass der dunkle Haaransatz zu sehen war.
    »Hausgemacht«, sagte Strandkorb-Peter und drehte sich dabei auf seinem Barhocker kurz zu Harry um. Wirt Fred zwängte sich währenddessen mit dem Teller hinter der Bar hindurch und servierte das Sauerfleisch mit Graubrot und Gewürzgurke.
    »Guten Appetit«, rief das Rentnerehepaar herüber, das an einem der drei anderen Fenstertische wortlos Schollenfilets mit einem Kartoffelsalat aß, der nicht hausgemacht wirkte, sondern wohl aus dem großen Plastikeimer kam.
    Das Sauerfleisch war eiskalt, schmeckte aber besser, als es aussah. Es war nicht das Fischereihafenrestaurant, wo er einmal mit Ingo Warncke getafelt hatte, als sie zu Geld gekommen waren. Aber Harry hatte Appetit.
    »Sieht jut aus, dat Sauerfleisch«, sagte die Kölner Blondine.
    Harry nickte ihr kurz zu.
    |60| »Fred, machst mir noch ’ne Küstennebel«, sagte die Rheinländerin, die leicht zu schunkeln begann, nachdem Strandkorb-Peter noch mal ›Über sieben Brücken musst du gehen‹ gedrückt hatte.
    Während er aß, guckte Harry mehrmals unter den Häkelvorhängen und zwischen mehreren Holzmöwen hindurch auf den Anleger. Die Polizei würde ihn hier wohl nicht so schnell vermuten. Aber ganz sicher war er sich doch nicht mehr, ob seine Flucht nach Amrum die richtige Entscheidung gewesen war.
     
    Begleitet vom Schreien der Vögel, radelte er den Weg am Watt zurück nach Nebel. Über Föhr schien noch die Sonne. Aber von
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher