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Flowertown - Die Sperrzone

Flowertown - Die Sperrzone

Titel: Flowertown - Die Sperrzone
Autoren: S.G. Redling
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mochte. Bevor Ellie die Treppe hinaufging, schoss er urplötzlich nach oben und hielt das Telefon in ihre Richtung. Über den Bürolärm hinweg konnte sie keinen Ton verstehen, aber die Geste, die Bing in Richtung des Hörers machte, verstand sie ohne Weiteres. Sie lachte, winkte und zeigte dem unsichtbaren Anrufer ebenfalls den Mittelfinger. Dann ging sie nach oben in ihr Büro.
    Bing hatte ihr einmal gesagt, dass sie sich glücklich schätzen sollte, oben zu arbeiten, fernab des ganzen Lärms und der Telefone. Im Büro der Archivverwaltung herrschte gedämpfte Ruhe. Ellie hatte versucht ihm zu erklären, dass diese Stille nur der letzte, seufzende Atemzug der Verzweiflung war. Das Archiv kannte keine Eile. Wenn es ein Ordner einmal bis hierhin geschafft hatte, war das, wofür oder wogegen man gekämpft hatte, im wahrsten Sinne des Wortes zu den Akten gelegt worden. Dies war der Dokumenten-Friedhof von Flowertown, hierher kamen Petitionen, Beschwerden und Anregungen, um zu sterben, ein rotes, gestempeltes »Erledigt« als ihre einzige Grabinschrift.Dieser Job war nur zu ertragen, wenn man extrem high war, und das passte Ellie gut in den Kram, denn sie zog es vor, allzeit breit zu sein.
    Vorbei an Aktenschränken und gestapelten Kisten voller Dokumente bahnte sie sich den Weg zu ihrem Schreibtisch am hinteren Ende des Zimmers. Ihre Chefin Big Martha war im Gespräch mit einer jungen Kollegin, und selbst im Vorbeigehen konnte Ellie hören, wie Martha langsam die Geduld verlor. Ellie fiel der Name des Mädchens nicht ein. Sie wusste, dass sie von der Personalabteilung nach oben gewechselt war und große Ideen hatte, wie man den Archivierungsprozess modernisieren und effektiver gestalten könnte. Vom ersten Tag an hatte Ellie sie vollständig ignoriert, aber Big Martha blieb nichts anderes übrig, als zu versuchen, der vor Ideen sprühenden jungen Frau zu erklären, dass Zweckdienlichkeit nicht wirklich oben auf der Prioritätenliste der Archivverwaltung stand – vielmehr ging es hier um ein Spiel von Ausdauer und Überdauern –, aber davon wollte das Mädchen partout nichts wissen. Sie hielt sich wohl für ganz schlau, wettete Ellie, ließ sich in ihren schiefen Bürostuhl plumpsen und schaltete ihren Computer ein, während sich ihre benebelten Gedanken um die Bilder von Feuerwerksböllern und endlosen, mit Papier gefüllten Kisten drehten. Das Szenario gefiel ihr – der Anblick, wie all das hier in Flammen aufgehen und so heiß und rauchig und beißend brennen würde, dass es sich über den Gestank verfaulter Blumen legen würde, an den sie sich nach all den Jahren noch immer nicht gewöhnt hatte.
    In ihrem Posteingangsfach wartete ein kleiner Stoß Umschläge. Der oberste war extrem zerknittert, abgenutzt und als Hauspost gekennzeichnet. Vermutlich war Flowertown der letzte Ort der industrialisierten Welt, an dem es so etwas gab.Wie so vieles andere auch, war der Zugang zum Internet im Sperrgebiet dermaßen unzuverlässig, dass die meisten Leute es so gut wie sein ließen. Nachrichten schickte man auf altmodischem Wege, auf Papier. Ignorieren konnte man diese allerdings ebenso gut wie E-Mails.
    An diesem Donnerstag erwarteten ihre Chefs von ihr, dass sie an einer Versammlung teilnahm, die für alle Mitarbeiter verpflichtend war. Es wunderte sie, wie innerhalb der Grenzen von Flowertown noch irgendetwas anderes außer Medikamenten, Check-ups und Anwesenheitsmeldungen verpflichtend sein konnte. Was würden sie mit ihr anstellen, wenn sie nicht zu dieser Versammlung ging? Sie feuern? Rausschmeißen? Egal, ob sie angestellt war oder nicht, sie würde weiterhin ihren Quarantäne-Besoldungsscheck erhalten. Man brauchte nicht weiter zu betonen, dass ihre Krankenversicherung abgedeckt war, und sie hatte unbefristeten Anspruch auf ihr Wohnquartier. Der einzige Zweck, den dieser billige Abklatsch eines Jobs erfüllte, lag darin, die Stunden ihrer Tage in eine künstliche Form zu pressen. Sie erschien zur Arbeit, schob ein paar Papiere von links nach rechts und ging zurück in den Schuhkarton, den sie mit Rachel teilte. Und manchmal, wenn Guy die Abendschicht als der zuständige Militärpolizist auf ihrem Flur hatte, stahl sie sich davon, um sich beim Aufeinanderprallen zweier Hüften abzulenken. Es war eine Art Freiheit, welche die Außenwelt niemals verstehen konnte und die, ebenso wie ihr Job, viel, viel besser zu genießen war, wenn man zugekifft war.
    Der nächste Umschlag beinhaltete einen schlecht gedruckten
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