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Fleischmarkt

Fleischmarkt

Titel: Fleischmarkt
Autoren: Laurie Penny
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sie die Ausbeutung an andere Frauen weitergegeben. Aber nicht jede kann den Kelch auf diese Weise weiterreichen. Wer putzt bei der Putzfrau?« 26
    90% der von mir interviewten Frauen, die eine funktionierende Lösung für die Arbeit in ihren Haushalten gefunden hatten, beschäftigten irgendeine Hilfskraft – von einer wöchentlich erscheinenden Putzhilfe bis hin zum in der Wohnung lebenden Au-Pair. Viele der anderen Frauen hatten die Hoffnung, sich eines Tages eine ähnliche Hilfe leisten zu können. Reiche Haushalte hatten schon immer Bedienstete, aber in welchem Ausmaß westliche Frauen sich heute die Hilfe von Putz- und Betreuungspersonal leisten oder wünschen, um die doppelte Last von Hausarbeit und bezahlter Arbeit zu bewältigen, ist neu. Diese Strategie hat jedoch auch eine Kehrseite. Kaum eine der befragten Frauen war mit der Situation wirklich zufrieden, und warum sollten sie auch: Fast alle Putzhilfen, Tagesmütter und Kindermädchen sind weiblich, ein großer Teil von ihnen ist ausländischer Herkunft, es sind entweder legale oder illegale Immigrantinnen. Die westlichen Frauen scheitern verzweifelt daran, von den Männern in der nächsten Umgebung ihren Einsatz zu fordern. Wir scheitern an unserer mangelnden Bereitschaft, das System an der Wurzel zu packen. Vielmehr ist es so, dass eine ganze Generation dabei ist, die Unterdrückung einfach an arme, eingewanderte oder Frauen aus ethnischen Minderheiten herunterzureichen.
    Während ein großer Teil der Hausangestellten bezahlt wird, wenn auch geringfügig, sind doch etliche unter ihnen illegale Einwanderinnen, die von Banden kontrolliert werden; manche sind sogar Opfer von Menschenhändlern. Obwohl genaue Schätzungen aufgrund der internationalen Verflechtungen noch nicht möglich sind, wird davon ausgegangen, dass lediglich 12% der weltweit 27 Millionen Opfer des Menschenhandels – 700000 allein in den USA – zu Haushaltssklaven mit Vertrag werden. Weitere 36% der Arbeitskräfte werden vorsichtig als »Sonstige« oder »Diverse« bezeichnet, was auf gut Deutsch heißt, dass man von diesen Sexsklaven erwartet, dass sie nach ihrer Arbeit auch noch die Laken waschen.
    Die Vorstellung, all die wohlhabenden Männer und Frauen, die diese unglücklichen Frauen beschäftigen, wüssten nichts von deren Misere, wäre ganz beruhigend, aber leider ist das nicht der Fall. In verwestlichten Regionen des Mittleren Ostens wie z.B. Dubai ist es üblich, den Pass der Hausangestellten zu verbrennen – und illegaler Aufenthalt in dem Land wird mit der Todesstrafe geahndet. Im Jahr 2007 wurde ein reiches Ehepaar aus Muttontown, New York, verurteilt, weil sie zwei indonesische Frauen versklavt und misshandelt hatten, die als Reinigungskräfte zu ihnen gekommen waren. Seit der Verabschiedung der bundesstaatlichen Gesetze gegen Menschenhandel im Jahr 2000 kamen etliche ähnliche Fälle ans Tageslicht. Weltweit wird Menschen Abscheuliches angetan, weil wir nicht willens sind, uns mit unserem Abscheu vor geschlechtsspezifischer Fronarbeit auseinanderzusetzen.
    Judith Ramirez, Koordinatorin von INTERCEDE (International Coalition to End Domestics’ Exploitation) in Toronto, besteht darauf, dass es für das, was sie »eine moderne Variante des Sklavenhandels« nennt, keine einfache Lösung gibt. Oft müssen Frauen eine Kinderfrau oder Haushaltshilfe beschäftigen, weil sie auf sich allein gestellt sind. »Ich sehe keine anderen Möglichkeiten, solange es so wenige Ganztagsbetreuungsplätze für kleine Kinder gibt. Wir sind von einer bedarfsdeckenden verlässlichen Ganztagsbetreuung noch weit entfernt. Und solange das der Fall ist, werden unzählige Frauen als Dienstboten arbeiten.«
    Männer und Frauen haben lange genug den Kelch einfach weitergereicht. Wir müssen uns mit unserer eigenen Scheinheiligkeit auseinandersetzen und gleichberechtigte, weniger ausbeuterische Lösungen für die Dichotomie der häuslichen Funktionsstörung finden, bevor noch mehr Menschen Schaden zugefügt wird.

Marginalisierte Körper, marginalisierte Arbeit
    Das Überleben der Staaten basiert darauf, dass ihre weiblichen Bürger Tag für Tag, Jahr für Jahr und Generation für Generation bereit sind, ohne Bezahlung zu schuften. Diese Tatsache könnte den Frauen, zumindest in der Theorie, große Macht geben – einfach durch die Drohung, diesen Dienst eines Tages zu verweigern.
    Die weibliche Macht der Verweigerung ist für jede Gesellschaft das erschreckendste und stärkste Ängste auslösende Moment
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