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Fleischmarkt

Fleischmarkt

Titel: Fleischmarkt
Autoren: Laurie Penny
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anzuerkennen, dass in der häuslichen Sphäre von Frauen ebenso wie von Männern enormer Schaden angerichtet wird. Generationen von Frauen, insbesondere Mütter, gaben das Leiden, die Schuldgefühle und die Erwartungshaltung, dem Patriarchat dienstbar sein zu müssen, an ihre Kinder weiter und zwar mit einer atemberaubenden, aus Liebe und Scham geborenen Unbarmherzigkeit – vermutlich eine Folge des verkrusteten Ärgers über die kulturelle Isolation und die aufgezwungene Schufterei. Amanpreet Badyal, 21, berichtete mir, wie die Ängste ihrer Mutter ihr die Kindheit verdarben:
    »Meine Mutter hat immer wieder versucht, meinen Geist zu brechen. Sie behauptete, sie würde mich lediglich auf meine Rolle als Schwiegertochter vorbereiten. Daneben predigte sie meinen Schwestern, wie wichtig es sei, kochen zu lernen. Und obwohl beide das erfolgreich angenommen haben, versuchte sie später, alle Eheprobleme, vor allem die meiner älteren Schwester, mit ihren mangelnden Kochkünsten zu erklären. Das Problem mit meiner Mutter ist, dass sie es gut meint! Sie hat genau gewusst, wie es uns Frauen aus dem Punjab geht, wusste, dass die Gleichheit bei den Sikhs oft nur vorgetäuscht ist. Und weil sie wollte, dass wir uns keine falschen Hoffnungen machen, hat sie auf grausame Weise Betrug und Enttäuschung zugelassen, hat uns ohne mit der Wimper zu zucken verraten. Ich glaubte wirklich, meinen 21. Geburtstag nicht zu erleben und wenn doch, dann zu einer Ehe gezwungen zu werden, die mich zum Selbstmord treiben würde. Wie könnte ich dem Lebensweg meiner Mutter folgen und Kinder großziehen, die ich nicht gewollt hatte? Warum sollte ich ein Kind bekommen, dem es so gehen würde wie mir? Das von Selbstzweifeln gepeinigt und vom Familienpack verschlungen würde? Ich hatte höllisch Angst davor, dass mir das passieren könnte.«
    Die Behauptung, dass solche Angriffe auf die menschliche Würde ›kulturell‹ bedingt und damit sakrosankt sind, ist ein stumpfes Instrument zur Unterwanderung des Geschlechterkampfes und feministischer Solidarität. Tatsächlich ist es so, dass Kultur überhaupt keine Trumpfkarte im progressiven ideologischen Kampf ist, denn die Isolation von Frauen im Haus und die Traumatisierung der häuslichen Sphäre kommen ja nicht nur bei den Sikhs oder in der ›asiatischen‹ oder irgendeiner anderen Kultur vor, die sich dem durchschnittlichen Weißen aus der Mittelschicht nicht unmittelbar erschließt. Vielmehr sind sie auch in den westlichen Gesellschaften weit verbreitet und waren in der Geschichtsschreibung der westlichen Länder in den letzten 350 Jahren ein zentrales narratives Element.
    Nur Heilige reagieren auf Gefangenschaft und Missbrauch nicht mit Vergeltung, und Frauen sind keine Heiligen. Das stereotype Bild des Engels im Heim war immer eine Lüge: Seit Generationen und besonders seit ihrer in den 1950er Nachkriegsjahren erzwungenen Häuslichkeit haben Frauen sich gegen ihre Käfige mit einer Wut und einem Unmut aufgelehnt, der zugleich politisch und unglaublich schädlich war. In den westlichen Gesellschaften haben sich durch die nur auf die häusliche Sphäre beschränkte Macht der Frauen begrenzte, ängstliche Matriarchate entwickelt, und jeder versteht, was es heißt, eine italienische, griechische oder jüdische Mutter zu haben oder eine andere rassistische Spielart des Mythos von Xanthippe. Die Wahrheit ist jedoch, dass die Wut der emotionalen weiblichen Kontrolle im postindustriellen Zuhause identisch ist mit der Wut der Arbeiter, die von den Produktions- und Reproduktionsmitteln entfremdet sind, eine Wut, die absichtlich gegen die Grausamkeit der politischen und ökonomischen Dominanz der Männer in der Öffentlichkeit gestellt wird. Der Kapitalismus des 21. Jahrhunderts erhält so eine Struktur der geschlechtsspezifischen Arbeit aufrecht, in der jeder, egal ob männlich oder weiblich, zu einem gewissen Grad machtlos und elend ist.
    Genau diese Dichotomie der gegenseitigen Behinderung wird von homosexuellen Familien und solchen mit nur einem Elternteil in Frage gestellt. Wenn konservative Experten uns erzählen, dass alleinerziehende und homosexuelle Eltern eine Bedrohung für die ›Familienwerte‹ darstellen, artikulieren sie die grundsätzliche Angst, dass die Strukturen der gegenseitigen Unterdrückung von Menschen gebrochen werden könnten, die mutig genug sind, ein Zuhause zu schaffen und in ihm zu leben, das für die Kultur und Wirtschaft dieses Systems eine Herausforderung ist.
    Ich bin
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