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Fleisch ist mein Gemüse

Fleisch ist mein Gemüse

Titel: Fleisch ist mein Gemüse
Autoren: Heinz Strunk
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zwischen Schwester Renate und Mutter wurden immer unerbittlicher ausgetragen. Fast täglich duellierten sich die beiden Kampfhennen mit dem
Nein/​Doch-
Spiel. Ich schlug mich je nach Laune mal auf die Seite der motorradbegeisterten Pflegekraft, mal auf die meiner armen Vogelmama, indem ich den einfachen Dialog laut mitsprach.
    «Nein.»
    «Doch.»
    «Nein.»
    «Doch.»
    «Nein.»
    «Doch.»
    «Nein.»
    «Doch.»
    Zwei große Feldherrinnen lieferten sich ein ums andere Mal historische Schlachten. Mutters schlagkräftigste Waffe war die Verweigerung von Essen und Trinken.
    «Wer soll denn das alles saufen! Ich bin doch kein Kamel! Und fressen, fressen, fressen soll ich auch den ganzen Tag. Schwester Renate, schauen Sie sich doch mal an, wie fett ich geworden bin, ich habe schon wieder zugenommen. Sie foltern mich so lange mit Essen und Trinken, bis ich tatsächlich noch platze.»
    «Jetzt reicht’s aber. Hier wird niemand gefoltert. Sie essen morgens eine Scheibe Toast mit Frischkäse, mittags ein Würstchenund abends wieder eine Scheibe Toast, das ist doch nicht viel. Das müssen Sie doch einsehen.»
    «Ach Quatsch, das ist in Wahrheit
wahrscheinlich
viel mehr. Und saufen muss ich auch. Immer machen Sie mir die Becher so quatschvoll. Das kann kein Mensch trinken, ich bin selber schon ganz verdünnt. Hören Sie endlich auf, mich zu foltern! Sie sind ein Biest, Schwester Renate!»
    «Das ist eine ganz große Unverschämtheit. Das mit dem Biest nehmen Sie sofort zurück!»
    «Nein.»
    «Doch.»
    «Nein.»
    «Doch.»
    «Nein.»
    «Doch.»
    Usw.
    Schwester Renate operierte in solchen Situationen gern mit dem schlimmen Wort
Zwangsernährung
, worauf Mutter irgendwann einmal erwiderte, sie würde bereits zwangsernährt. Auf meine Frage, wie sie denn darauf käme, äußerte sie den Verdacht, dass man ihr nachts wahrscheinlich Kanülen anlege, um sie dann mit einer fetthaltigen Nährlösung voll zu pumpen. Es war sehr schwierig, Gegenargumente zu finden. Außerdem mochte sie es überhaupt nicht, wenn ich zur Toilette musste. Jeden Gang dorthin kommentierte sie mit den immer gleichen Worten: «Schon wieder aufs Klo.» Dabei ging ich schon so selten wie möglich. Seltsamerweise war sie auch felsenfest davon überzeugt, dass ihr Essen auf dem Klo zubereitet werde.
    «Ich hab heute genau darauf geachtet. Schwester Renate war ganz unnatürlich lange auf dem Klo. Da hat sie sicher wieder mein Essen gemacht.»
    «Ach Quatsch, wie soll das denn gehen?»
    «Ich weiß auch nicht, wie das geht, ich weiß nur, dass es so ist.»
    «Da macht niemand Essen auf dem Klo.»
    «Sag mal, Heinz, jetzt sei mal ehrlich! Steckst du eigentlich mit Schwester Renate unter einer Decke?»
    «Du bist ja verrückt geworden!»
    «Jaja, das wollt ihr wohl, mich vollständig verrückt machen.»
    Manchmal, ohne ersichtlichen Grund, wurde sie für ein paar Tage ganz zart und weich. So viel Liebe war noch in ihr und hatte niemals rausgedurft. Ein kleiner, verschrumpelter Engel. Ich saß an ihrem Bett, sie hielt meine Hand, wir tranken zusammen Kaffee und dachten an Oma.
    «Ach, wenn doch Oma noch leben würde. Ich vermiss sie so.»
    «Ja, ich auch.»
    «Ich würde so gern körperlich und seelisch gesund sein. Meinst du, dass es mir irgendwann nochmal besser geht?»
    «Ja, ganz bestimmt.»
    «Ich schaff die Becher nicht mehr. Kannst du heute nicht ausnahmsweise mal einen wegschütten?»
    «Na gut, ausnahmsweise. Aber immer geht das nicht, sonst merkt Renate das am Urinbeutel.»
    «Du bist lieb, du bist ein guter Sohn.»
    Ab und an habe ich eine der kleineren Schnabeltassen mit Blasen-Nierentee weggeschüttet. Langsam ging es zu Ende. Ein winziges Häuflein Mensch lag im gigantischen Antidekubitusbett und löste sich langsam auf.
     
    Bei
Tiffanys
war ich nach meiner Pupsentgleisung endgültig unten durch. Marek war der Mann der Zukunft. Zumindest
ich
lief also doch Gefahr, ein Opfer der Ostmuckeroffensive zu werden! Verzweifelt wehrte ich mich gegen die drohende Vernichtung,aber mein Schicksal war besiegelt. Wahrscheinlich warteten sie nur noch auf den richtigen Moment, um mir den Todesstoß zu versetzen. Aber ich brauchte doch
Geld, Geld, Geld!
Ich wollte auch noch nicht aufgeben, wenigstens jetzt noch nicht. Ich wollte noch nicht bei Dr.   Vogel oder Herrn Sommer zu Kreuze kriechen, ich wollte mich nicht umschulen lassen, unter gar keinen Umständen Pizza ausfahren, und den Suizid wollte ich auch so lange hinauszögern, wie es ging.
    Meine letzte Mucke
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