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Fleisch ist mein Gemüse

Fleisch ist mein Gemüse

Titel: Fleisch ist mein Gemüse
Autoren: Heinz Strunk
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mit
Tiffanys
war im August 1997, fast auf den Tag genau zwölf Jahre nach dem Schützenfest in Moorwerder, und ich hatte keine Ahnung, dass es mein unwiderruflicher Abschied sein sollte. Wenn ich das mal vorher gewusst hätte; minutiös würde ich den Ablauf hier auf vielen Seiten referieren. Es war irgendein runder Geburtstag, der unter die Kategorie
keine besonderen Vorkommnisse
fiel. Das Einzige, woran ich mich noch erinnern kann, ist ein kurzer Dialog zwischen Gurki und mir während der Gagenauszahlung.
    «Mist, mir fehlt ein Hunni.»
    «Das kann doch nicht sein. Guck doch nochmal nach.»
    «Nee, ich hab schon ein paarmal durchgezählt. Ich muss den hier irgendwo verloren haben.»
    Suchend blickte er auf den Boden. «Na ja, egal, hier, deine Kohle.»
    «Gedankt. Sag mal, wann ist eigentlich der nächste Job?»
    «Das weiß ich im Moment auch noch nicht. Ich ruf dich an.»
    Er rief nie wieder an.
     
    Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen.
(Leo Kirch)
    Wie sich erst viel später zufällig herausstellte, hatte mich Gurki eigenmächtig aus der Band entfernt, indem er, ohne sich mit den anderen darüber abzustimmen, mich einfach nicht wieder anrief. Jens und Norbert erkundigten sich anfangs noch öfternach mir, aber irgendwann hat niemand mehr gefragt, und wahrscheinlich waren alle insgeheim erleichtert darüber, dass nun der pflegeleichte Ungar den Job übernommen hatte. Am meisten natürlich mein Intimfeind Maik.
Tiffanys
haben noch drei Jahre in der gleichen Besetzung weitergespielt, bevor die Band im November 2000 auseinander brach. Vorangegangen war ein Eklat. Jens und Norbert waren Gurki auf die Schliche gekommen, der bei regulären
Tiffany-
Jobs die Position von Keyboards und Bass mit anderen Muckern besetzte, weiß der Deibel, warum. Ich vermute, dass er die jahrelangen Demütigungen nicht mehr ertragen konnte und sich auf diesem Wege an Jens und Norbert rächen wollte. Vielleicht hat er den Ersatzmuckern auch weniger bezahlt und sich die Differenz in die eigene Tasche gesteckt. Es kam natürlich heraus, ein klassisches Eigentor. Jens und Norbert stiegen sofort aus und gründeten das Duo
Al Dente
, mit dem sie bis heute gut im Geschäft sind. Endlich haben sie ihren Frieden und können sich als zwei gleichberechtigte Chefs aufeinander verlassen. Keine Wackelkandidaten mehr wie ich, keine Opportunisten, Lügenbarone und sonstiges Kroppzeug, mit dem man sich nur rumärgert.
     
    Mutter ist ein Jahr darauf gestorben. Ihre Konturen waren immer schemenhafter geworden, und sie schien kurz vor ihrem Tod noch einmal kleiner zu werden. Ich hatte das Gefühl, sie ohne Mühe mit einer Hand aus dem Bett heben zu können. Als sie spürte, dass sie gehen muss, hat sie noch ungläubig versucht, am Leben festzuhalten; sie wollte doch noch gar nicht sterben. Das sollte wirklich alles gewesen sein? Doch da kam tatsächlich nichts mehr, nicht einmal etwas Kleines, Gutes, das sie wenigstens symbolisch mit ihrem elenden Dasein versöhnt hätte. Alles war umsonst gewesen.
    «Du bist so ein guter Sohn, und ich war keine gute Mutter, verzeihst du mir?»
    «Ach Quatsch, natürlich bist du eine gute Mutter. Du kannst doch für deine Depressionen nichts.»
    «Doch, das ist die Strafe. Und jetzt muss ich bald sterben und kann nichts Gutes mehr tun.»
    «Wie kommst du denn darauf! Hier stirbt niemand. Red dir doch nicht wieder so einen Quatsch ein.»
    «Du weißt doch auch, dass ich sterben muss. Und ich hab dich doch so lieb.»
    «Ich dich auch.»
    Sie hat eine Lungenentzündung gekriegt, und die bescheuerte Schwester Renate ließ sie gleich ins Krankenhaus einliefern. In der ersten Nacht ist Mutter gestorben, und der einzige Mensch, der ihr noch etwas bedeutet hat, war nicht da. Am nächsten Tag habe ich ihre paar Sachen abgeholt. Einen Ring, ein Portemonnaie mit 25   Mark, ihren Personalausweis und eine Nagelschere. Das war also, was übrig bleibt. Das Schicksal ist eben doch nicht gerecht. Und der liebe Gott? War auch nicht da. Grund genug, sich einmal bei ihm zu beschweren.
    Das Zwergenhaus habe ich verkauft. Dann habe ich auf die andere Seite der Elbe
rübergemacht
und mir als Erstes eine neue Spielhalle gesucht. Natürlich eine Halle aus der Glawes-Dynastie. Beim neuen Glawes ist es fast so schön wie beim Alten. Dehydrierte Rentner mit Pennytüten und Billigpelzen, Wolfgangs aller Couleur, düster blickende Ausländerbanden, Mittagspausenhandwerkerspieler, der Mix macht’s. Vielleicht höre ich ja irgendwann auf
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