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Fleisch ist mein Gemüse

Fleisch ist mein Gemüse

Titel: Fleisch ist mein Gemüse
Autoren: Heinz Strunk
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und in ihren Augen spiegelte sich die nackte Panik. Was kann ein Mensch eigentlich ertragen? Meine Vogelmutter ertrug es schließlich nicht mehr und sprang aus dem Fenster, hinaus in die Freiheit. Doch die Erlösung blieb ihr verwehrt. Sie durftenicht sterben, immer noch nicht, ihr Martyrium sollte in der nach oben offenen Spirale des Leidens weitergehen. Nun würde sie erst recht für lange Zeit im Krankenhaus bleiben müssen, anschließend Rehaklinik, und dann? Hilflos wie eine Schildkröte, die man auf den Rücken gedreht hat, wartete ich darauf, dass irgendetwas passierte.

Viel Afrika und wenig Bavaria
    Im Keller hatte ich noch aus
Holunder-
Zeiten eine schwarze Bundfaltenpluderhose, ein weißes Hemd mit Vatermörderkragen und ein Paar ausgelatschte schwarze Schuhe aufgetrieben. In welche Richtung das Programm von
Tiffanys
wohl ging? Wahrscheinlich die übliche Mischung aus Oldies, Evergreens, Schlagern, Volksmusik und ein paar aktuellen Titeln. Ich war den Umgang mit fremden Menschen nicht mehr gewohnt, da mich meine nunmehr zweijährige Reihenhauseremitage bereits etwas kauzig gemacht hatte. Im Spiegel überprüfte ich noch einmal mein Aussehen. Im rechten Mundwinkel hatte sich ein schmerzhafter Pickel mit gelber Haube eingenistet, der gerade seinen Zenit erreichte. Pickel am Mund nie ausdrücken, das ist gefährlich (Blutvergiftung)! Egal, sollten sie ruhig erst einmal einen Schrecken kriegen. Ich war schließlich zum Musikmachen engagiert, und davon verstand ich etwas.
    Punkt halb sechs klingelte es. Vor der Tür standen zwei junge Männer: Der eine war rotblond und untersetzt, der andere sicher eins neunzig und wirkte etwas steif in den Hüften. Beide schienen ungefähr in meinem Alter zu sein. Der Kleinere, der einen ganz selbstbewussten Eindruck machte, eröffnete das Gespräch.
    «Wir sollen hier den besten Saxophonisten Hamburgs abholen.»
    «Ach so, ja, ich wäre dann so weit», entgegnete ich wenigschlagfertig. Ich hatte meine Instrumentenbatterie, bestehend aus Tenor-, Alt-, Sopransaxophon und der Tasche mit Flöte und Stativen, vollständig im Flur aufgepflanzt, um sie zu beeindrucken.
    «Kommt das alles mit?» Der Große stotterte ein wenig.
    «Ja. Ich bin übrigens Heinz.»
    Der Hüftsteife hieß Norbert und war maritim bekleidet mit einem Troyer, Karottenjeans und Camel-Boots. Torsten trug ein Sweatshirt mit Mickeymaus-Aufdruck und eine ausgebeulte Bundfaltenhose. Auf der Fahrt wurde ich mit der noch jungen Bandhistorie vertraut gemacht:
Tiffanys
gab es in der aktuellen Besetzung erst seit drei Monaten. Gurki, der Bandleader, mit bürgerlichem Namen Gundolf Beckmann, hatte sich mit der alten Besetzung überworfen, die daraufhin geschlossen ausgestiegen war. Norbert, Torsten und der dritte, Jens, hatten vorher als Trio
Lütt un Lütt
Schützenfeste, Feuerwehrbälle und Hochzeiten bespielt. Auf einer dieser Veranstaltungen tauchte Talentscout Gurki auf und engagierte prompt die ganze Truppe.
Lütt un Lütt
wurde so vollständig von
Tiffanys
absorbiert.
    Das Moorwerdersche Schützenfest zählte zu den Größten im Landkreis und konnte sich eine Fünf-Mann-Kapelle ohne weiteres leisten. In der Mitte des Festplatzes stand, umsäumt von allen möglichen Buden, Kinderkarussell und Autoscooter, das Zelt, in dem das abendliche Tanzvergnügen stattfinden sollte. Die Aufteilung solcher Zelte ist immer gleich: links vom Eingang ein endloser Tresen und auf der anderen Seite die Bühne. Auf ihr verlegten zwei Männer gerade die letzten Kabel. Der eine kletterte von der Bühne, um mich zu begrüßen. Er war schon deutlich über dreißig und ziemlich schmächtig. Mir fielen die großen Wasserflecken auf seinen Collegeschuhen auf. Das optische Zentrum seines Gesichts bildete ein akkurat getrimmter Riesenschnauzer.
    «Hallo, ich bin der Gurki. Schön, dass du dabei bist.»
    Das also war der Gurki. Ich versuchte, irgendeine Verbindung zwischen dem selten blöden Spitznamen und seinem Äußeren auszumachen, konnte aber auf die Schnelle nichts entdecken. Dann kam auch Jens herunter. Er war wie Norbert und Torsten um die zwanzig, hatte blondes, bereits leicht schütteres Haar und ebenfalls einen Schnäuzer, der allerdings so dünn war, dass man ihn erst bei ganz genauem Hinsehen wahrnahm. Als er mir die Hand gab, hatte ich das Gefühl, eine Art Stumpen anzufassen. Später am Abend habe ich mir seine Hände dann genauer angeguckt: Derjenige, der sich das Wort
Wurstfinger
ausgedacht hat, muss Jensens Hand vor Augen
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