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Fleisch essen, Tiere lieben

Titel: Fleisch essen, Tiere lieben
Autoren: Theresa Baeuerlein
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diese Frage noch völlig irrelevant. Ein Mensch, der Getreide anbauen wollte, tat dies auf einem Stück Land so lange, bis der Acker nichts mehr hergab, weil der Boden erschöpft war, also keine Nährstoffe mehr enthielt. Dann arbeitete er mit einem neuen Feld weiter. Es war ja genug Land da. Als das Land knapper wurde, weil die Zahl der Menschen wuchs, lernten Bauern, ihre Felder nicht jedes Jahr zu bepflanzen, sondern immer wieder brachliegen zu lassen, damit der Boden sich erholen konnte. Auf dem brachliegenden Feld wuchs Gras und diente damit als Viehweide, was einen doppelten Nutzen hatte: Zum einen wurde das Vieh satt, zum anderen ließen die Tiere auf der Weide ihre Exkremente fallen und gaben dem Boden auf diese Weise Nährstoffe und Fruchtbarkeit zurück. Der Boden gewann dadurch zwar nicht an Nährstoffen hinzu – die Tiere gaben ihm über ihre Exkremente nur zurück, was sie ihm vorher genommen hatten –, aber er verlor auch keine Nährstoffe. Hinzu kam das Prinzip der Fruchtfolge, also jener Anbauweise, wonach auf einem Feld nicht jedes Jahr die gleichen, sondern verschiedene Pflanzen über mehrere Jahre hinweg in einer bestimmten Reihenfolge angebaut wurden. Bei dieser Form des Ackerbaus entziehen die Pflanzen einerseits dem Boden Nährstoffe, sie werden ihm aber andererseits durch die Fruchtfolge auch wieder zurückgegeben. Tiermist, Fruchtfolge und Brache waren die Mit tel, mit der die vormoderne Landwirtschaft die Böden fruchtbar hielt.
    Die Methode hatte jedoch, aus Konsumentensicht zumindest, einen großen Nachteil: Da der Bauer sich an die natürlichen Prozesse von Pflanzenwachstum und Bodengesundheit anpassen musste, war die Ernte, die er einfahren konnte, im Vergleich zu heutigen Erträgen sehr gering. Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts war das ein gewaltiges Problem. Die Erträge konnten nur langsam gesteigert werden – und hielten nicht Schritt mit der wachsenden Bevölkerung. Ja, die Notwendigkeit, größere Ernten einzufahren, war nach Ansicht mancher Forscher vermutlich einer der wichtigsten Gründe für Kriege: Als die europäischen Äcker ausgeschöpft waren, begann die Eroberung und Kolonisierung der Welt. ²⁶
    In einem Zeitraum von nur hundert Jahren war bis Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts die Zahl der Menschen um mehr als das Doppelte gewachsen, es wurden dringend mehr Lebensmittel gebraucht, also höhere Erträge in der Landwirtschaft. ²⁷ Man war sich bereits darüber im Klaren, dass künstlicher Dünger das Problem lösen konnte, bevor man wusste, wie man ihn herstellen sollte. Justus von Liebig entwickelte den Fünf-Kugel-Apparat, mit dessen Hilfe er und seine Schüler analysierten, aus welchen Stoffen Pflanzenteile und Tierorgane zusammengesetzt waren. Um 1830 fing Liebig an, darüber nachzudenken, wie seine Forschung in die landwirtschaftliche Praxis umgesetzt werden konnte. Er wusste, welche Stoffe Pflanzen aus der Erde zum Aufbau ihrer Substanz entnahmen, was der Boden also bei der Ernte verlor, und suchte nach einer Methode, diese Stoffe zu ersetzen. Liebig trat für eine Mineraldüngung ein, welche die aufwendige Bodenpflege überflüssig machen sollte. Er ging von dem schlichten Grundsatz aus, dass ein Erdboden, dem der Ackerbau Nährstoffe entzogen hatte, diese Nährstoffe wieder zurückerhalten musste. Statt die langsamen Kreisläufe der Natur zu nutzen, würde der Mensch dem Boden die nötigen Stoffe direkt zuführen. Liebig selbst enwickelte dafür einen Phosphatdünger. Der Durchbruch zur modernen Landwirtschaft kam aber erst, als die Wichtigkeit von Stickstoff erkannt wurde.
    Stickstoff ist nicht nur für Pflanzen wichtig, sondern für alle Lebewesen. Der amerikanische Journalist und Lebensmittel-Experte Michael Pollan schreibt in seinem Blog: »Alles Leben hängt von Stickstoff ab … Die genetischen Informationen, die das Leben ordnen und aufrechterhalten, ist in Stickstoff-Tinte geschrieben.« ²⁸ Das ist nicht übertrieben. Stickstoff ist für die Grundbausteine des Lebens, Aminosäuren, Proteine und Nukleinsäuren (also auch Desoxyribonukleinsäure, kurz: DNA) essenziell.
    Stickstoff ist reichlich vorhanden: Unsere Atemluft besteht zu fast 80 Prozent daraus. Das klingt praktischer, als es ist. Mit Luftstickstoff können die meisten Pflanzen, die wir essen, nichts anfangen. Sie ziehen ihn aus dem Boden. Stickstoffarme Böden sind unfruchtbar. Landwirte hatten ursprünglich nur zwei Möglichkeiten, ihn in die Erde einzubringen: Sie konnten
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