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Flavia de Luce - Mord ist kein Kinderspiel - Bradley, A: Flavia de Luce - Mord ist kein Kinderspiel - The Weed that strings the Hangman's Bag

Titel: Flavia de Luce - Mord ist kein Kinderspiel - Bradley, A: Flavia de Luce - Mord ist kein Kinderspiel - The Weed that strings the Hangman's Bag
Autoren: Alan Bradley
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hatte, als sie gerade Homers Odyssee verschlang: dass gebratenes Fleisch im alten Griechenland der traditionelle Leichenschmaus gewesen sei. Ich hatte damals im Hinblick auf Mrs Mullets Kochkünste
erwidert, dass sich in diesem Punkt in zweieinhalb Jahrtausenden eigentlich nicht viel verändert habe.
    Aber jetzt, da ich tot bin, dachte ich, sollte ich mir vielleicht Mühe geben, etwas nachsichtiger zu urteilen.
    Dogger war natürlich untröstlich. Der gute Dogger, unser Butler, Chauffeur, Hausdiener, Gärtner und Gutsverwalter in Personalunion; eine arme, vom Krieg verstörte Seele, deren Tüchtigkeit an- und abschwoll wie die Gezeiten an der Mündung des Severn; Dogger, der mir erst kürzlich das Leben gerettet und am nächsten Morgen schon wieder alles vergessen hatte. Ihn würde ich schrecklich vermissen.
    Ebenso wie mein Chemielabor. Ich dachte an die vielen vergnüglichen Stunden, die ich in jenem verlassenen Flügel von Buckshaw verbracht hatte, glückselig zwischen all den Destillierkolben, Retortenglocken und munter blubbernden Schläuchen und Reagenzgläsern. Der Gedanke, das alles nie mehr wiederzusehen, war schier unerträglich.
    Ich lauschte dem aufkommenden Wind, der über mir durch das Geäst der alten Eiben strich. Hier im Schatten des Kirchturms von St. Tankred wurde es bereits recht frisch. Bald würde die Dunkelheit hereinbrechen.
    Arme Flavia! Arme, kalte, mausetote Flavia!
    Inzwischen bereuten Daffy und Feely es gewiss schon von ganzem Herzen, dass sie zu ihrer kleinen Schwester während ihres kurzen elfjährigen Erdendaseins immer so gemein gewesen waren.
    Bei dem Gedanken lief mir eine Träne über die Wange.
    Ob Harriet mich wohl im Himmel in Empfang nahm?
    Harriet war meine Mutter, die ein Jahr nach meiner Geburt auf ungeklärte Weise beim Bergsteigen ums Leben kam. Würde sie mich nach zehn Jahren überhaupt wiedererkennen? Ob sie immer noch die Bergsteigerkluft anhatte, die sie bei ihrem Tod trug, oder hatte sie inzwischen ein weißes Nachthemd angelegt?

    Was sie auch tragen mochte, sie sah bestimmt sehr schick aus.
    Da vernahm ich Flügelschläge. Sie hallten dröhnend von der Kirchenmauer wider, von dem Buntglasfenster, so groß wie ein halbes Fußballfeld, und von den mich umstehenden schiefen Grabsteinen. Ich wäre zu Tode erschrocken, wäre ich nicht schon tot gewesen.
    War das womöglich ein Engel … oder eher wohl ein Erzengel … der vom Himmel herniederstieg, um Flavias holde Seele ins Paradies zu geleiten? Ich öffnete die Augen einen winzigen Spalt, bis ich, wenn auch nur verschwommen, durch die Wimpern spähen konnte.
    So ein Pech! Es war nur eine der zerzausten Dohlen, die immer um St. Tankred herumflatterten. Diese Strolche hatten sich, gleich nachdem die Steinmetze im 13. Jahrhundert ihr Werkzeug eingepackt hatten und zur nächsten Baustelle weitergezogen waren, droben im Kirchturm eingenistet.
    Der blöde Vogel hatte sich unbeholfen auf einem gen Himmel weisenden Marmorzeigefinger niedergelassen und betrachtete mich unverfroren mit schiefgelegtem Kopf aus blanken, albernen Knopfaugen.
    Diese Dohlen waren aber auch zu dämlich! Ich konnte diesen Trick so oft aufführen wie ich wollte, jedes Mal kamen sie früher oder später vom Turm heruntergeflattert. Für das urzeitliche Hirn einer Dohle konnte ein auf der Erde ausgestrecktes Lebewesen nur eines bedeuten: Nahrung.
    Wie schon Dutzende Male zuvor sprang ich auf und warf mit dem Stein, den ich in der Faust verborgen hielt, nach dem Federvieh. Wie praktisch jedes Mal traf ich nicht.
    Mit verächtlichem »Kraak« schwang sich die Dohle in die Lüfte und flatterte in Richtung Fluss davon.
    Jetzt, da ich wieder auf den Beinen war, merkte ich erst, dass ich einen Bärenhunger hatte. Kein Wunder, seit dem Frühstück hatte ich nichts mehr gegessen. Ich überlegte kurz, ob
ich im Gemeindehaus womöglich noch ein paar übrig gebliebene Marmeladentörtchen oder ein Stück Kuchen würde auftreiben können. Gestern Abend hatte sich das Frauenkomitee von St. Tankred dort versammelt; daher standen die Chancen nicht schlecht.
    Als ich durch das kniehohe Gras stapfte, glaubte ich einen hohen, lang gezogenen Laut zu hören. War die freche Dohle zurückgekommen, um das letzte Wort zu haben?
    Ich blieb stehen und spitzte die Ohren.
    Nichts.
    Dann hörte ich es wieder.
    Oft empfinde ich es als Segen, manchmal jedoch auch als Fluch, dass ich Harriets unglaublich scharfes Gehör geerbt habe, da ich, wie ich Feely voller Genugtuung zu erzählen
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