Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Flavia de Luce - Mord im Gurkenbeet - The Sweetness at the Bottom of the Pie

Titel: Flavia de Luce - Mord im Gurkenbeet - The Sweetness at the Bottom of the Pie
Autoren: Alan Bradley
Vom Netzwerk:
meine …«
    Aber Vater hatte bereits stampfend und schnaufend wie ein Güterzug den Rückzug in sein Arbeitszimmer angetreten.
    Als Mrs M. mit der Hand vor dem Mund das Kehrblech holen lief, verdrückte ich mich ebenfalls in mein Zimmer.
     
    Die Schlafzimmer auf Buckshaw waren riesige, düstere Zeppelin-Hangare, und meines, das sich im Süd-, beziehungsweise »Tar«-Flügel befand, war das allergrößte. Die frühviktorianische Tapete (senfgelb mit einem sonderbaren Muster, das an blutrote Garnklumpen erinnerte) ließ es noch größer wirken: eine kalte, uferlose, zugige Einöde. Sogar im Sommer war der Gang quer durchs Zimmer zum fernen Waschtisch am Fenster ein Abenteuer, vor dem jeder Polarforscher zurückgeschreckt wäre. Nicht zuletzt deswegen schob ich diesen Gang auf und kletterte schnurstracks auf mein Himmelbett, wo ich im Schneidersitz und in eine Wolldecke gehüllt bis in alle Ewigkeit hocken und über mein Leben nachsinnen konnte.
    So dachte ich beispielsweise daran, wie ich versucht hatte, mit einem Buttermesser Kratzproben von meiner nach Gelbsucht aussehenden Tapete zu entnehmen. Dazu angeregt hatte mich Daffy, als sie einmal mit vor Schreck geweiteten Augen eine Geschichte von A. J. Cronin nacherzählt hatte, in der irgendein armer Teufel erst krank wurde und dann starb, weil sein Schlafzimmer mit arsenhaltiger Wandfarbe gestrichen war. Hoffnungsvoll brachte ich die abgeschabten Brösel hoch ins Labor zur Analyse.
    Aber bei mir gab es keinen langweiligen Marsh-Test, vielen Dank auch! Ich zog die Methode vor, bei der Arsen erst in
sein Trioxid umgewandelt wird, dann zusammen mit Natriumacetat erhitzt wird, um Kakodyloxid zu ergeben. Letzteres ist nicht nur eine der allergiftigsten Substanzen auf unserem Planeten, sondern hat zusätzlich den Vorteil, dass sie abscheulich stinkt, nämlich nach verschimmeltem Knoblauch, nur tausendmal schlimmer. Ihr Entdecker Bunsen (der mit dem Brenner) hielt damals fest, dass einem von einem Hauch davon nicht nur Hände und Füße kribbeln, sondern sich auch auf der Zunge ein ekliger schwarzer Schleim ablagert. Herr im Himmel, wie mannigfaltig sind doch deine Werke!
    Du kannst dir meine Enttäuschung sicher vorstellen, als ich herausfand, dass meine Probe keinerlei Arsen enthielt. Die Farbe bestand aus irgendeinem stinknormalen Pflanzensaft, vermutlich von der gemeinen Salweide ( Salix caprea ) gewonnen oder von einem anderen harmlosen, todlangweiligen Gewächs.
    Irgendwie lenkte das meine Gedanken wieder zurück zu Vater.
    Warum hatte ihm die Entdeckung vor der Küchentür solche Angst eingejagt? War es überhaupt Angst gewesen, was ich auf seinem Gesicht gelesen hatte?
    Doch, daran bestand eigentlich kaum ein Zweifel. Was sollte es sonst gewesen sein? Mit Vaters Jähzorn, seiner Ungeduld, seiner Übermüdung, seiner unvermittelten Niedergeschlagenheit war ich nur allzu vertraut. Alle diese Stimmungen zogen hin und wieder über sein Gesicht wie Wolkenschatten über unsere englischen Hügel.
    Dabei fürchtete sich Vater ganz gewiss nicht vor toten Vögeln. Ich hatte schon oft zugesehen, wie er einer dicken, runden, gebratenen Weihnachtsgans zu Leibe gerückt war und dabei sein Besteck geschwungen hatte wie ein orientalischer Mordbube. Im vorliegenden Fall durfte es ihm ja wohl kaum einen Schrecken eingejagt haben, dass das Tier noch Federn gehabt hatte. Oder war es das tote Auge gewesen?

    Und die Briefmarke konnte es auch nicht gewesen sein. Vater liebte Briefmarken mehr als seine eigenen Kinder. Das Einzige, was er noch inniger geliebt hatte als diese bunten Papierchen, war Harriet gewesen. Und die war, wie schon erwähnt, tot.
    So tot wie die Schnepfe.
    War Vater deshalb so erschüttert gewesen?
    »Nein! Nein! Geht weg!« Die barsche Stimme drang durch mein offenes Fenster und schnitt meinen Gedankenfaden - Schnips! - mitten durch.
    Ich warf die Decke ab, sprang aus dem Bett, lief ans Fenster und spähte in den Küchengarten hinunter.
    Es war Dogger, der da gerufen hatte. Er stand mit dem Rücken an der Gartenmauer aus verwitterten roten Ziegeln und spreizte die wettergegerbten Finger.
    »Kommt mir ja nicht zu nahe! Haut ab!«
    Dogger war Vaters Bediensteter, sein Faktotum. Und er war allein im Garten.
    Man munkelte - beziehungsweise Mrs Mullet munkelte -, Dogger habe zwei Jahre in japanischer Kriegsgefangenschaft geschmachtet, gefolgt von über einem Jahr der Folter, des Hungers, der Mangelernährung und Zwangsarbeit an der Eisenbahnlinie des Todes, zwischen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher