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Flandry 4: Ehrenwerte Feinde

Flandry 4: Ehrenwerte Feinde

Titel: Flandry 4: Ehrenwerte Feinde
Autoren: Poul Anderson
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es, mich zum Eisvolk zu begleiten?«

 
IX
     
    Tengri Nor, der Geistersee, lag so weit nördlich, dass man Altais Ringe nur noch die halbe Nacht lang als blassen Schimmer am südlichen Horizont sah. Als Flandry und Juchi aus ihrem Flugboot stiegen, war es noch Tag. Krasna stand als Stück glühender Kohle am Himmel und färbte die Schneefelder rosenrot. Die Sonne sank jedoch schnell, und purpurne Schatten glitten so rasch von einer Schneewehe zu anderen, dass man ihre Bewegung bemerkte.
    Flandry war noch nicht oft solcher Stille begegnet. Selbst im All gab es immer die leisen Geräusche der Geräte, die ihn am Leben hielten. Hier hingegen schien die Luft jeden Laut zum Gefrieren zu bringen; ein kaum merklicher Wind strich über die feinen Eiskristalle, wirbelte und glitzerte auf Schneebänken, die aus Diamanten zu bestehen zu schienen, und rührte die Fläche des Tengri Nor auf, aber hören konnte man ihn nicht. Flandry glaubte, den See riechen zu können, einen scharfen Dunst, aber er war sich nicht sicher. Auf seine terranischen Sinne konnte er sich hier im Herzen des Winters nur wenig verlassen.
    Als er sprach, hallte der unerwartete Schall wie ein Pistolenschuss und erschreckte ihn so sehr, dass seine Frage als Wispern endete. »Wissen sie, dass wir hier sind?«
    »O ja. Sie haben ihre eigenen Möglichkeiten. Sie begrüßen uns bald.« Juchi blickte über den Weg nach Norden auf die gewaltigen Ruinen. An den Marmorwänden lagerte halbhoch der Schnee, weiß auf weiß, und das letzte Sonnenlicht quetschte sich zwischen zertrümmerten Kolonnaden hindurch. Der Bart des Schamanen erstarrte allmählich vom eigenen Atem.
    »Ich nehme an, sie erkennen die Hoheitszeichen – wissen, dass es die Maschine eines befreundeten Stammes ist – aber was, wenn der Kha-Khan ein verkapptes Boot schickt?«
    »Vor Jahren hat er das versucht, mehrmals. Die Boote wurden schon weit südlich von hier vernichtet, ohne dass wir wissen, wie. Die Bewohner des Sees haben ihre eigene Wahrnehmung.« Juchi hob die Arme und begann, sich auf der Stelle zu wiegen. Ein hoher Gesang drang von seinen Lippen. Er warf den Kopf zurück und schloss die Augen.
    Flandry konnte nicht sagen, ob der Schamane sich dem Aberglauben ergab, ein Ritual durchführte oder etwas tat, das tatsächlich notwendig war, um das Gletschervolk herbeizurufen. Er hatte schon zu viel Eigenartiges gesehen, um noch irgendein Dogma zu vertreten. Er wartete, und seine Augen suchten die Landschaft ab.
    Jenseits der Ruinen, am nördlichen Seeufer nach Westen hin, stand ein Wald. Weiße schlanke Bäume mit kompliziertem, eigentümlich geometrisch wirkendem Astwerk funkelten wie Eiszapfen. Ihre dürren bläulichen Blätter vibrierten, und man erwartete, dass sie klingelten, als wäre der ganze Wald aus Glas, doch Flandry war noch nie einer so stillen Wildnis begegnet. Niedrige graue Pflanzen bedeckten den Schnee zwischen den funkelnden Baumstämmen. Wo sich hier und da ein Felsblock aus der Erde schob, bedeckte ihn flechtenartiger Bewuchs fast ganz. Wäre es nicht so kalt und still gewesen, hätte Flandry an tropische Üppigkeit gedacht.
    Der See erstreckte sich über seine Sichtweite hinaus, blassblau zwischen den weißen Schneewehen. Während der Abend über das Wasser nahte, sah Flandry vor den Schatten, dass Nebel darüber schwebte.
    Juchi hatte recht nüchtern eröffnet, dass das auf Altai einheimische protoplasmische Leben sich in früheren Zeitaltern an die Kälte angepasst habe, indem es Methanol synthetisierte. Eine Mischung mit Wasser zu gleichen Teilen blieb noch unter minus vierzig Grad Celsius flüssig. Wenn sie am Ende doch gefror, bildete sie keine Eiskristalle, die Zellen zerstörten, sondern wurde allmählich immer dickflüssiger. Die niedrigeren Lebensformen blieben bis minus siebzig Grad aktiv; danach fielen sie in Winterschlaf. Die höheren Tiere waren homöotherm und brauchten nicht inaktiv zu werden, ehe die Lufttemperatur auf -100°C fiel.
    Die biologische Akkumulation des Alkohols hielt die Seen und Flüsse am Pol bis in die Mitte des Winters flüssig. Das Hauptproblem aller Spezies dieser Region war die Aufnahme von Mineralien in einer Welt, die größtenteils von Gletschern überzogen war. Einiges beförderten Bakterien an die Oberfläche; Tiere zogen weit umher, um exponierte Felsen abzulecken, kehrten in ihre Wälder zurück und hinterließen nach ihrem Tod schwerere Atome. Im Allgemeinen aber kam die altaianische Ökologie ohne Mineralien aus. Sie hatte zum
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