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Flammen um Mitternacht

Flammen um Mitternacht

Titel: Flammen um Mitternacht
Autoren: Stefan Wolf
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in die hohe Stirn.
    „Seltsam“,
sagte Gunter. „Ich deute Webers Worte so: Er ahnt, daß seine Frau was im
Schilde führt. Wahrscheinlich will er ihr zuvorkommen.“
    Onkel Paul
nickte. „Für den Bestand dieser holden Zweisamkeit würde ich keinen Pfifferling
geben. Aber sobald Heidenreich auftaucht, hat Carola Weber Blitzlichter in den
Augen. Damit will ich nichts gesagt haben. Außerdem geht es mich nichts an.“
    „Papi, was
weißt du eigentlich über Heidenreich?“ fragte Locke.
    Gunter
lehnte sich zurück. „Der Mann ist ein aktuelles Thema. Für meine Kollegen und
mich. Ich sammle Material über ihn. Gegen ihn, um die Wahrheit zu sagen. Als
Baulöwe hat er einen miserablen Ruf. Das ist nicht nur Gerücht. Aber es fällt
schwer, Beweise auszugraben. Und ohne Beweise kann ich nichts veröffentlichen.
Das heißt, sobald Beweise vorliegen, droht ihm Gefängnis.“
    „Baut er
Häuser, die einstürzen?“ fragte Tom.
    Gunter
schüttelte den Kopf. „Darum geht es nicht. Was er baut, ist nicht schlechter —
allerdings auch nicht besser — als alles andere, was seine Kollegen verzapfen.
Nein, er soll als Ausbeuter illegaler (gesetzwidriger) Arbeiter die
Numero eins in der Branche sein. Heidenreich, der Ausbeuter — so wird er
genannt. Freilich sagt ihm das keiner ins Gesicht.“
    „Was
bedeutet das: Ausbeutung illegaler Arbeiter?“ erkundigte sich Locke.
    „Man muß
sich das so vorstellen“, erläuterte Gunter. „In der Baubranche sieht es nicht
sehr rosig aus. Viele Firmen kämpfen ums Überleben. Das können sie nur, wenn
sie ihre Kosten senken. Denn wenn sie billig arbeiten und Konkurrenten ( Mitbewerber )
unterbieten, erhalten sie Aufträge. In diesem Zusammenhang hat sich in der
Bundesrepublik ein sogenannter zweiter Arbeitsmarkt gebildet. Auf dem decken
sich die Firmen mit billigem Personal ein: mit illegalen Arbeitern. Das sind
die Ärmsten der Armen — und fast immer Ausländer. Sie werden gehalten wie
Sklaven, und sie schuften wie Sklaven. Als Hilfsarbeiter, Maurer, Gipser,
Betongießer. Mit ihnen wird regelrecht Menschenhandel betrieben. Und das
funktioniert so: Die Menschenhändler — nennen wir sie so — schmuggeln Arbeiter
ein — Jugoslawen, Türken, Italiener und andere. Die Arbeiter kommen als
Touristen ( Vergnügungsreisende ). Sie haben keine Aufenthaltsgenehmigung
und keine Arbeitserlaubnis. Aber das schert die Menschenhändler nicht. Im
Gegenteil. Nur so wird es billig. Denn ein illegaler — also ungesetzlicher —
Arbeiter zahlt keine Steuern, keine Kranken- und keine Sozialversicherung. Er
wird mit geringem Lohn abgespeist, und der Bauunternehmer, der ihn beschäftigt,
hat mindestens die Hälfte der sonst üblichen Kosten gespart. Damit wird dem
Staat sehr viel Geld entzogen. Milliardenbeträge. Außerdem ist es eine
Ungerechtigkeit gegenüber deutschen Bauarbeitern, von denen mehr als 200 000
arbeitslos sind: weil sie sich ans Gesetz halten. Drittens werden die Illegalen
— die Sklaven — in unwürdiger, unmenschlicher Weise ausgebeutet. Das Geschäft
machen die Menschenhändler — und die Baulöwen. Von denen Heidenreich der
schlimmste ist.“
    „Wenn ich
das richtig verstehe“, sagte Locke, „sind aber auch die illegalen Arbeiter
nicht ganz unschuldig.“
    „Sie
verstoßen gegen das Gesetz“, nickte Gunter. „Aber sie sind Opfer, nicht Täter.
Die Not treibt sie zu uns. Ehe sie in ihrer Heimat vor die Hunde gehen,
arbeiten sie hier als Illegale. Nein, die Menschenhändler und die Baulöwen —
das sind die Täter.“
    „Wie spielt
sich das in der Praxis ab?“ wollte Tom wissen.
    „Als
Touristen eingeschmuggelt, werden die Illegalen in miesen Quartieren
zusammengepfercht. Sie werden regelrecht bewacht — von Schlägertypen, die für
die Menschenhändler arbeiten. Viele der Illegalen sprechen kein Wort Deutsch.
Die Menschenhändler vermitteln sie nun — als Arbeitskolonnen oder auch zu
Hunderten — an die Bauunternehmen. An Typen wie Heidenreich. Der zahlt einen
miesen Lohn. Davon stecken sich die Menschenhändler ein Drittel oder die Hälfte
in die Tasche. Der Rest ist für die armseligen Menschen, die die Arbeit gemacht
haben. Der Baulöwe hat also die Hälfte der sonst üblichen Kosten gespart, wie
ich schon sagte, hat klotzig verdient. Der Menschenhändler hat einen Großteil
des Arbeitslohns für sich kassiert, hat ebenfalls dicke verdient. Was für die
Sklaven bleibt, ist gerade genug, um nicht zu verhungern.“
    Locke
stampfte mit beiden Füßen auf.
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