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Flamme der Freiheit

Flamme der Freiheit

Titel: Flamme der Freiheit
Autoren: Birgid Hanke
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freier Natur zu ermöglichen. Der Sacrower See lag nicht fern, aber Rieke hatte striktes Verbot, sich seinem Ufer zu nähern.
    Beim Gedanken an seine Enkelin stieß Prohaska einen tiefen Seufzer aus. Sieben Jahre alt war sie im Januar geworden. In wenigen Wochen sollte sie eingeschult werden. Rieke konnte es kaum mehr abwarten. Lesen und Schreiben hatte er ihr schon beigebracht. Besser gesagt, sie hatte es sich selbst beigebracht, indem sie ihm bei der Bibel- oder Zeitungslektüre immer über die Schulter geschaut und nach den einzelnen Buchstaben gefragt hatte. Sie war ein aufgewecktes kleines Mädchen, sehr hübsch dazu, mit glänzend blonden Haaren und riesigen strahlend blauen Augen. Hübsch und klug zugleich war seine Rieke.
    »Zu hübsch, zu klug, gar nicht gut für ein Mädchen dieser Herkunft«, murmelte Prohaska missgelaunt. Nein, er war weniger missgelaunt als besorgt. Was für eine Zukunft konnte er seiner Enkelin bieten? Wie lange würde er noch leben, um für sie zu sorgen und sie beschützen zu können? Was kam nach der Schule auf sie zu? Sollte er sie in Stellung geben? Kein Problem, bei ihrer Flinkheit und Geschicklichkeit würde sie ganz schnell etwas finden. Die alte von Zedlitz stellte ihre Dienstmädchen bereits im Kindesalter ein. »Damit ich sie nach meinem Willen erziehen, nach meinen Vorstellungen prägen und so anständige Zofen aus ihnen machen kann«, hatte sie ihm einmal erklärt. Sein Befremden beim Anblick eines kleinen Mädchens, das ihm beflissen eine Tasse Tee einschenkte, war wohl zu offenkundig gewesen. Als ehemaliger Unteroffizier der Preußischen Armee hatte Prohaska begrenzten Zutritt beim höheren Adel. Die unkonventionelle von Zedlitz trank nach dem Musikunterricht gerne einmal eine Tasse Tee mit dem Trompetenlehrer ihres jüngsten Sohnes. Insofern wäre es Prohaska auch ein Leichtes gewesen, seine Enkelin entsprechend zu protegieren und ihr eine gute Stellung in einem angesehenen Hause zu verschaffen. Allein, schon der Gedanke an eine Trennung machte ihm das Herz schwer.
    »Sie ist doch erst sieben geworden und kommt zunächst einmal in die Schule«, versuchte Prohaska sich selbst zu beschwichtigen. Er griff nach der Pfeife und dem Tabaksbeutel, die stets griffbereit neben dem Notenstapel auf dem hölzernen Tisch in der kleinen Wohnstube bereitlagen. Er stopfte den weißen Tonkopf und zündete sie an. Im Nu war er von dichten Tabakwolken umhüllt. Die würden Emil wieder zum Husten bringen. Egal, wenn er ein richtiger Soldat werden wollte, musste er noch Schlimmeres ertragen.
    Ob er mal ein ernsthaftes Wort mit Heinrich redete, überlegte Prohaska. Emils Vater war wie er ein Kriegsveteran, aber glücklich verheiratet mit seiner Marie. Zehn Kinder hatte sie ihm geboren. Drei von ihnen waren früh verstorben, die anderen mittlerweile alle schon groß und aus dem Haus, bis auf den Jüngsten, Emil, der seine Musterung kaum erwarten konnte. Ziemliche Flausen hatte der Junge im Kopf.
    Bei einigen Gläsern Branntwein im Dorfkrug hatten Prohaska und Emils Vater Enkelin und jüngsten Sohn im Geiste schon einmal miteinander verkuppelt. Ob Heinrich sich daran noch erinnerte? Marie hätte bestimmt nichts dagegen, die kleine Rieke unter ihre Fittiche zu nehmen, wenn er einmal nicht mehr war. Ärgerlich wischte sich Prohaska über die Stirn, um seine trüben Gedanken zu verscheuchen. Was war heute nur los mit ihm? Er neigte doch sonst nicht dazu, Trübsal zu blasen, und nun gerade heute, am ersten richtigen Frühlingstag des Jahres. Warum war er nur so bedrückt?
    Todesahnungen?
    »Quatsch!«, sagte er laut und vernehmlich. Seine Kriegsverletzung war längst verheilt. An den Phantomschmerz seines amputierten rechten Fußes hatte er sich seit Jahren gewöhnt, und mit der Gicht musste er leben wie alle anderen Menschen seines Alters auch.
    War es Riekes bevorstehende Einschulung, die ihn so belastete? Dabei freute sie sich so sehr, endlich häufiger mit anderen, mit gleichaltrigen Kindern zusammenzukommen. Bislang hatte er es geschickt verstanden, sie von jeglichen Außenkontakten abzuschirmen. Wenn sie jetzt zur Schule kam, war es damit vorbei. Dann würde ihr auch bewusst werden, dass sie bislang noch nie eine gleichaltrige Freundin gehabt hatte. Ihre ersten sieben Lebensjahre hatte Rieke fast ausschließlich zwischen Erwachsenen verbracht. Doch weil sie es nicht anders kannte, war sie sich dessen gar nicht bewusst. Bislang. Aber wenn sie sich bald mit ihren Klassenkameraden verglich,
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