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Fischerkönig

Fischerkönig

Titel: Fischerkönig
Autoren: Wildis Streng
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ungekrönte Fischerkönig entknotete umständlich die Arme, rauchte nachdenklich und sagte dann: »Nein. Keine Ahnung. Der Walter war, wenn ihr mich fragt, ein ziemlicher Depp.«
    »Inwiefern?«, wollte Lisa wissen.
    »Ein Möchtegern. Einer, der sich über Statussymbole definiert hat. Die Irina. Sein Mercedes. Sein Job.«
    »Was hat der Herr Siegler denn gearbeitet?«, fragte Heiko.
    »Versicherungsfritze«, informierte Hintermann und wechselte einen Blick mit dem gewaltigen Hechtkopf an der gegenüberliegenden Wand. »Nicht wenig erfolgreich. Das ist ein Job, in dem diese spezielle Mischung aus Glaubwürdigkeit, Geschleime und Spießertum gut ankommt. Und das hatte er drauf, der Herr Siegler.« Lisa blickte nachdenklich zu einem monströsen Karpfenkopf, der genau über Hintermann hing. Sein Maul war so überdimensional groß, dass es beinah grotesk wirkte. »Besonders leiden konnten Sie sich wohl nicht?«, stellte sie dann fest. Hintermann verzog den Mund zu einem freudlosen Grinsen. »Wer konnte den schon leiden.«
    »Wieso?«
    »Ach. War halt insgesamt ein Arschloch.«
    Heiko schwieg eisern und forderte lediglich mit einer Handbewegung zum Weiterreden auf. Der Typ ließ sich ja alles aus der Nase ziehen. »Na ja, also dass er die Irina gekauft hat, liegt ja wohl auf der Hand.«
    »Wissen Sie das?«, hakte Lisa nach. Hintermann drückte nun endlich die Zigarette aus und lehnte sich dann in den ältlichen Stuhl zurück, der bedenklich knarzte. »Wie kann man das wissen. Glauben Sie etwa, er hätte das zugegeben? Trotzdem: Das kann gar nicht anders sein.« Lisa stimmte dem Mann innerlich zu, während Heiko »Hm« machte.

    Lilli legte den Hörer auf. Sie tat es sanft, nicht laut und schnarrend, wie es in einer solchen Situation angebracht gewesen wäre. Requiescat in pace, mein Geliebter. Agnes hatte es ihr gesagt. Sie telefonierten viel miteinander, obwohl sie fast direkt nebeneinander wohnten. Zuerst hatte sie nicht viel gesagt. ›Der Walter ist tot.‹ Und dann: ›Es tut mir leid.‹
    Sie, Lilli, hatte eine Schrecksekunde gebraucht, um zu verstehen. Dann war es aus ihr herausgebrochen. Wie? Wann? Warum? Agnes wusste nur, dass er erwürgt worden war. Gestern Abend. Schlagartig überlegte sich Lilli, was sie gestern Abend getan hatte. Wo sie gewesen war. Zu Hause, würde die Antwort lauten, wenn jemand fragen würde. Allein. Natürlich allein. So allein, wie sie seit 30 Jahren war, seit Walter sie verlassen hatte. Trennung auf Probe, hatte er damals vorgeschlagen. Probeweise. Nur so. Obwohl sie schon verlobt gewesen waren und laut übers Heiraten nachdachten. Und sie war sich sicher gewesen, er würde zurückkommen. Er würde sich austoben müssen, sich die Hörner abstoßen. Ein bisschen rumhuren. Und dann, dann käme er zurück zu ihr, zu seiner Lilli, die ihn doch liebte und er sie auch. Hatte sie zumindest gedacht. Aber dann hatte er sich vor vier Jahren diese Russenschlampe geholt. Lilli wusste überhaupt nicht, was er mit der wollte. Die konnte locker seine Tochter sein. Sie selbst hatte keine Kinder. Nicht, dass sie keine gewollt hätte. Es hatte sich einfach nicht ergeben. Denn der Mann, den sie als Vater ihrer Kinder ausgesucht hatte, hatte sie nicht gewollt. Sie wäre sein Bestes gewesen, aber das hatte er nicht erkannt, nicht erkennen wollen. Nicht, dass ihm das alles ganz recht geschehen wäre. Bestimmt nicht. Langsam stand Lilli auf. Es war so still. Sie ging in die Küche und setzte sich auf den Stuhl, auf einen von zweien. Lange, lange blieb sie so sitzen.

    Die Spurensicherung hatte den Wald zum Sperrgebiet erklärt. Kaum war der VW-Bus der Haller Einheit angekommen, hatten die weiß gekleideten Männchen den Wald besetzt. Heiko fühlte sich wie in einem dieser schlechten Science-Fiction-Filme aus den 70er-Jahren. Irgendwie surreal. Es war ein heißer Tag. Die Luft war drückend schwül, Mückenschwärme umsurrten die Gegend um den Asbacher Weiher. Grillen zirpten, und im Wald knackten immer dann, wenn jemand eine unbedachte Bewegung machte, die trockenen Äste. Gleichzeitig stieg aber eine gewisse Kühle vom Waldboden auf. Der Waldduft wäre betörend gewesen, hätte sich da nicht ein erster Verwesungsgeruch breitgemacht.
    »Todeszeitpunkt?«, fragte Heiko Uwe, der sich soeben mit einem Kollegen der Haller beriet.
    »Die Kollegen sagen das Gleiche wie ich. Abends.«
    »So zwischen acht und zehn«, bestätigte der Kollege, ein kleiner, untersetzter Mann in mittleren Jahren. »Und haben Sie
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