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Fischerkönig

Fischerkönig

Titel: Fischerkönig
Autoren: Wildis Streng
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und Heiko hatten sich wenig später in den M3 gesetzt und waren in Richtung Goldbach gefahren. Denn in Goldbach wohnten nicht nur die Frau und die Tochter des Mordopfers, sondern auch dessen Schwester, wie Waller erwähnt hatte. Sie folgten der Landstraße in Richtung Goldbach und sahen schon von Weitem ein Stoffbanner, das sich beim Ortseingang quer über die Straße spannte. »52. Goldbacher Lichterfest«, las Lisa. »Was ist das denn?« Heiko stutzte. »Waren wir letztes Jahr nicht auf dem Lichterfest?« Lisa schüttelte den Kopf und meinte ein bisschen beleidigt: »Sonst würde ich ja nicht fragen.« Heiko überlegte kurz, dann fiel ihm ein, dass sie letztes Jahr um diese Zeit ja im Urlaub gewesen waren. »Das Lichterfest ist das Goldbacher Aushängeschild«, erläuterte er.
    »So wie das Volksfest für Crailsheim?«
    »Genau!«
    Lisa schwieg auffordernd. »Ja, und siehst du die Hügel da hinten?« Heiko wies auf den linksseitigen Hang, wo sich mehrere Hügel sanft bis zum Waldrand hin wellten. »Mmh?«, machte Lisa.
    »Da stellen die Goldbacher ihre Figuren auf. Das sind so Gestelle, wo sie farbige Papierbecher einhängen. Und anders als bei den Hallern und ihrem Sommernachtsfest ergeben die Becher nicht bloß Muster, sondern richtige Figuren. Schaut echt schön aus, da sollten wir unbedingt hin.« Lisa unterdrückte ein Grinsen. Stets war eine latente Konkurrenz zwischen Schwäbisch Hall und Crailsheim zu spüren. Die beiden Städte an Kocher und Jagst, die gleich groß und auch etwa gleich alt waren und dennoch unterschiedlicher nicht sein konnten. Während Schwäbisch Hall mit einer schmucken Altstadt glänzen konnte, war Crailsheim in den letzten paar Kriegstagen zu 92 Prozent dem Erdboden gleichgemacht worden und atmete dementsprechend den zweifelhaften Charme der Fünfziger. Während beide Städte geografisch zu Hohenlohe gerechnet wurden, sahen sich die Crailsheimer als ›echte‹ Hohenloher an, da der Haller Dialekt eher zum Schwäbischen hin tendierte. Und schließlich gab es seit ein paar Jahren einen handfesten Kulturstreit, bei dem Schwäbisch Hall zugegebenermaßen vorne lag – immerhin hatte Hall eine private Kunstakademie und die Kunsthalle Würth. Inzwischen hatten sie den Ortseingang passiert, und Lisa entdeckte außer einer Metallkonstruktion, die wohl bereits für das Lichterfest aufgestellt worden war, ein Hinweisschild auf das ›Freibad‹. »Dieses Kaff hat ein Freibad?«, wunderte sie sich. Heiko bestätigte und referierte: »25-Meter-Becken, solarbeheizt. Wirklich nett! Wenn du willst, schauen wir nachher noch kurz vorbei.« Lisa hatte nichts einzuwenden. Sofern sich keine neuen Erkenntnisse ergäben, könnte man die weiteren Ermittlungen durchaus auf morgen verschieben. Die Ergebnisse der Spurensicherung dauerten sicher auch noch. Und sie hatten sich angewöhnt, bei diesem Wetter immer ihre Badetaschen im Kofferraum zu haben, um nach der Arbeit je nach Laune noch ins kühle Nass hüpfen zu können.

    Im Dorf bogen sie nach der Kirche schließlich rechts ab, gerade vor einer Villa im toskanischen Stil, die so gar nicht zum restlichen Ort passte. Schließlich parkten sie vor einem netten Einfamilienhäuschen mit weiß getünchtem Jägerzaun und meterhohen Sonnenblumen im Vorgarten. Die Blumen verströmten ihren charakteristischen ölig-würzigen Duft. Lisa blieb kurz vor dem Anwesen stehen und atmete tief durch. Gut. Die Sonne stand bereits etwas tiefer und übergoss die Szenerie mit goldenem Licht. Das tiefe Blau des Himmels hatte etwas beinah Smaragdfarbenes. Es war Spätnachmittag. Die Ermittler folgten dem adretten Gartenweg und klingelten schließlich an einer Haustür mit Milchglasscheiben. Nach wenigen Sekunden öffnete sich die Tür, und eine üppige Frau um die 60 erschien. Ihr Gesicht war rund und reizlos, außergewöhnlich waren allein ihre langen grauen Haare, die sie weder geflochten noch aufgesteckt trug, sondern die ihr wie ein steinerner Vorhang über die Schultern fluteten. Und obwohl sie sonst wenig auffällig war, verliehen ihr die Haare doch etwas Geheimnisvolles, nahezu Magisches. »Ja?«, krächzte sie und räusperte sich gleich anschließend. »Frau … Siegler?«, versuchte Heiko. Die Frau schüttelte den Kopf. »Geborene Siegler. Ich heiße Morgner. Ich bin Witwe.«
    »Natürlich. Bitte entschuldigen Sie. Wüst und Luft von der Polizei.« Heiko trat nervös von einem Bein auf das andere. Er war unglaublich schlecht in solchen Dingen. Er wusste einfach nicht,
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