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Fischerkönig

Fischerkönig

Titel: Fischerkönig
Autoren: Wildis Streng
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und Lust hat, kann mitmachen. Alle treffen sich an der Jagst oder an einem Weiher, und dann geht es darum, wer in der vorgegebenen Zeit den größten Fisch fängt. Das geht dann nach Gewicht.« »Ah!«, machte Lisa.
    »Und jeder der Herren hat natürlich so seine eigenen Methoden und Mittelchen, auf die er schwört«, präzisierte Doris mit ironischem Unterton, den Werner aber gar nicht wahrzunehmen schien. Beseelt nickte er. »Ich persönlich gehe beim Königsfischen ja immer auf Hechte. Die bringen ordentlich Kilo und sind außerdem eine Herausforderung, weil sie Raubfische sind. Friedfische sind mir zu langweilig, weil …«
    »Was sind denn Friedfische?«, unterbrach Lisa.
    »Ja, solche, die höchstens mal eine Muck fressen, aber sonst ganz brav sind!«
    »Wie langweilig!«, befand Lisa und zwinkerte Doris zu. Nun schien der Angler die Ironie zu ahnen und musterte seine Frau mit kritisch-prüfendem Blick. Er trank wieder einen Schluck Weizen und schwieg verstimmt. Heiko rettete die Situation, indem er fragte: »Und wer ist dieses Jahr Fischerkönig?« Werner entspannte sich. »Der neue oder der alte?«
    »Beide?«
    »Also der alte ist der Walter Siegler.« Prüfend ließ er seinen Blick über die Feiernden schweifen. »Aber ich sehe ihn nirgends. Das wird ihm arg schwerfallen, die Kette abzugeben.«
    »Die Kette? Welche Kette?«, fragte Lisa.
    »Die Fischerkönigskette. Der Fischerkönig darf sie für ein Jahr tragen.«
    »Und dann?«
    »Na, dann kriegt sie der neue König, wieder für ein Jahr. Und so weiter und so fort.«
    »Und wer wird der neue?«, hakte Doris nach.
    »Der Hintermanns Heinz, soweit ich weiß«, informierte Werner Wüst.
    »Warst du auch mal Fischerkönig?«, fragte Heiko seinen Vater. Der nickte und wirkte auf einmal tatsächlich königlich. »1985«, erzählte er. »In den letzten Jahren hab ich allerdings nur noch so hobbymäßig mitgemacht. Es gibt aber manche, die denken an nichts anderes.«
    »Ist ja auch sehr kleidsam, die Kette«, befand Doris und trank Weißherbstschorle.
    »Ja? Wie sieht sie denn aus?«, wollte Lisa wissen.
    »Na, das wirst du schon noch sehen, nachher, bei der Krönung!«

    Es sollte nicht zur Krönung kommen. Denn Walter Siegler blieb natürlich verschwunden. Die Feiernden kannten den wahren Grund dafür noch nicht, vielmehr wurde im Flüsterton gemutmaßt, dass Siegler nicht willens sei, seine Insignien abzugeben. So oder so kam der Vorstand allmählich in die Bredouille, weil der wesentliche Programmpunkt des Tages, nämlich die Krönung des neuen Fischerkönigs, ohne die Kette auch nicht stattfinden konnte. Heinz Hintermann hingegen hockte mit triumphierend-herausforderndem Grinsen an seinem Tisch vorne rechts und konnte sich den einen oder anderen dummen Witz über seinen Amtsvorgänger nicht verkneifen. Lisa und die Wüsts hatten sich inzwischen gebratenes Karpfenknusper mit Pommes bestellt und taten sich bald daran gütlich. Der Vorsitzende des Fischereivereins, Otto Waller, sah gerade zum wohl hundertsten Mal auf die Uhr und nickte schließlich dem wohlgenährten Alleinunterhalter zu, der sogleich einige Schlager zum Besten gab. Nach einer weiteren halben Stunde wurde auch dieser Puffer allmählich unglaubwürdig, und Waller betrat die Bühne. Er räusperte sich und klopfte unauffällig gegen das Mikrofon, bevor er sagte: »Guten Abend, meine Damen und Herren, und herzlich willkommen zum Sommernachtsfest des ASV Crailsheim!« Verhaltener Applaus. Noch einmal suchte Waller mit seinen Augen die Szenerie ab, ob der amtierende Fischerkönig nicht doch noch aufgetaucht war. Dann fuhr er fort: »Ich möchte Ihnen einen kleinen Abriss der Geschichte des ASV geben.« Er setzte eine weihevolle Miene auf, und sein silberner Schnurrbart bebte ehrfürchtig, als er begann: »Der ASV wurde gegründet im Jahre …« Ein Schrei unterbrach den Redner, ein Schrei, der so laut und entsetzlich war, dass er alle verstummen ließ, weil jeder hörte, dass dies ein Kinderschreien war, das erschreckenderweise etwas Tierisches, Gehetztes hatte. Die Tonlage war hoch, der Schrei verriet blankes Entsetzen und kam schnell näher. Wie in Zeitlupe richteten die Anwesenden ihre Blicke auf das etwa neunjährige Mädchen im rosa gestreiften Kleid, das soeben das Fischerheim passierte. Das Kind stand unter Schock. Eine Frau, wohl die Mutter der Kleinen, sprang nach einer Schrecksekunde auf und eilte auf das Mädchen zu, um es schließlich hochzunehmen und wie ein Kleinkind zu wiegen. Das
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