Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fische füttern - Genovesi, F: Fische füttern - Esche Vive

Fische füttern - Genovesi, F: Fische füttern - Esche Vive

Titel: Fische füttern - Genovesi, F: Fische füttern - Esche Vive
Autoren: Fabio Genovesi
Vom Netzwerk:
für den »Tirreno«. Du liest die Namen der Ortschaften, die schon jetzt exotisch klingen, fern und unerreichbar. Und der Kloß in deinem Hals wird immer bedrohlicher, er steigt hoch zu den Schläfen und in die Augen. Vielleicht spielt ja auch die ganze Aufregung vor dem Start eine Rolle. Vielleicht.
    Dann bleibst du an einem kleinen Bericht hängen, in dem es um Muglione geht.
    Im Haus von Noemi Irma Palazzesi, 87 Jahre, wohnhaft in Muglione, wurde gestern Abend ein grausiger Fund gemacht. Die Sanitäter vom Roten Kreuz waren wegen eines Schwächeanfalls der alten Dame gerufen worden. Sie fanden in der Küche zahlreiche Katzen, die teils erst kurz, teils schon länger tot waren, eine lag zum Auftauen im Waschbecken. Im Hausmüll der Signora Palazzesi fanden die Carabinieri mehrere Katzenknochen, weitere Kätzchen lagen im Gefrierschrank, zum späteren Verzehr bestimmt. Die Signora gab zu, unter dem Vorwand, sich einsam zu fühlen, die Kätzchen aufgenommen und sich mit ihnen einen Nahrungsvorrat angelegt zu haben. Ihre Rechtfertigung war, dass eine Katze sich von einem Kaninchen gar nicht so sehr unterscheide und sie es sich mit 400 Euro Rente im Monat nicht leisten könne …
    Du faltest die Zeitung zusammen und vergräbst sie tief unten in deiner Tasche. Die armen Kätzchen. Du hattest also recht mit deiner Skepsis gegenüber der Alten, wenigstens dieses eine Mal. Man kann ja auch nicht immer unrecht haben.
    Die Triebwerke werden hochgefahren, die Piste gleitet unter dir weg, das Flugzeug setzt sich in Bewegung, beschleunigt, hebt ab. Du schließt ganz fest die Augen und lässt wie jedes Mal alles Revue passieren, was zu Hause zurückgeblieben ist.
    Bücher, Hefte, Klamotten, Armbänder, dein Bett, das Nachtschränkchen aus deiner Kindheit mit den Klebebildern der kleinen Schlümpfe. Was werden alle diese Dinge jetzt machen, wo du nicht mehr da bist? Werden sie brav und stumm an ihrem Platz bleiben und auf dich warten? Und die Zahnbürste, du hast die Zahnbürste vergessen! Sie war so gut wie neu und steht jetzt im Bad in einem Glas, einsam wie ein auf der Autobahn ausgesetzter Hund. Was wird sie denken, wie wird sie sich fühlen? Am liebsten würdest du das Flugzeug kehrtmachen lassen, zu Fuß nach Muglione laufen, ins Bad rennen und dir die Zähne putzen, um ihr zu zeigen, dass sie noch zu etwas nütze ist, dass du sie nicht vergessen hast und nie vergessen wirst.
    In Muglione wäre auch Fiorenzo, der auf dich wartet. Beim Angeln, im Laden oder wo auch immer, er ist jedenfalls für dich da, und du kannst zu ihm zurück, das hat er selbst gesagt, er hat es dir sogar geschrieben. Du weißt zwar nicht genau, was du im Leben willst, aber mit ihm zusammen zu sein gehört ganz sicher zu den Dingen, die dir gefallen würden.
    Eine Arbeit, die dir Spaß macht, eine Stadt, in der du gern lebst, ein Freund, mit dem du gern die Abende verbringst … du brauchst also viele Lose bei diesem einzigen Lotteriespiel, aber je mehr du hast, desto größer ist deine Gewinnchance.
    Doch wie schafft man es, alle diese Wünsche unter einen Hut zu bringen? Wie schafft man das, Fiorenzo, wie schaffst du das?
    Das Flugzeug ist jetzt in der Luft. Du schaust runter auf die Erde, alles ist flach da unten, die Häuser und die Straßen sehen aus wie Spielzeug, das in einem gottverlassenen Winkel der Erde herumliegt.
    Wer weiß, ob da unten jemand zu dir hochschaut, weil etwas in seinem winzig kleinen Leben ihn genau in diesem Moment veranlasst, den Blick gen Himmel zu richten: ein Passant, der einen Straßennamen liest, eine Frau, die ihre Katze auf einem Baum sucht, ein Junge mit nur einer Hand, der an einem Kanal sitzt und die Spitze seiner Angelrute kontrolliert.
    Er schaut hoch und sieht am azurblauen Himmel einen winzigen hell glitzernden Punkt, der sich langsam und lautlos bewegt und immer kleiner wird, immer kleiner.
    Bis er nicht mehr zu sehen ist.

DREISSIG JAHRE, IRRE
    Zehn Jahre sind vergangen. Zehn Jahre, ich fass es nicht, mir kommt es vor wie eine Sekunde.
    Ich habe kurz die Augen zugemacht, und peng bin ich dreißig. Dreißig Jahre, ich, irre.
    Bis zwanzig verging die Zeit überhaupt nicht, ich könnte von meinem schönsten Erlebnis in dem Sommer erzählen, als ich sechzehn war, oder sagen, wie im Herbst, als ich siebzehn war, meine Lieblingsband hieß. Dann hab ich das Gymnasium hinter mich gebracht, und alles ging rasend schnell. Als ich siebenundzwanzig wurde, hatte ich kurz Zweifel, ob ich nicht schon achtundzwanzig
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher