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Finsteres Verlangen

Finsteres Verlangen

Titel: Finsteres Verlangen
Autoren: Laurell K. Hamilton
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Nacht erledigt war, zu benommen und schwindlig, um noch etwas anderes zu tun. Was kann ein moralisch aufrechter Animator in dem Fall tun?
    Seufzend zog ich die Machete aus der Scheide und hörte hinter mir erschrockenes Luftholen. Es war eine große Klinge, aber die brauchte man, wenn man ein Huhn einhändig köpfen wollte. Ich musterte meine linke Hand, um eine geeignete pflasterfreie Stelle zu finden, dann setzte ich die Klingenspitze am Mittelfinger an (das Symbolhafte entging mir dabei keineswegs) und stach hinein. Ich hielt die Machete immer gut scharf, damit ich nicht aus Versehen zu tief schnitt. Es würde mich ziemlich nerven, wenn ich genäht werden müsste.
    Der Schnitt tat nicht sofort weh, was bedeutete, dass ich doch tiefer reingestochen hatte als beabsichtigt. Ich hob die Hand ins Mondlicht und sah das Blut hervorquellen. Sowie ich es sah, tat es weh. Wieso tut eigentlich alles weh, sobald man Blut fließen sieht?
    Die Klingenspitze nach unten haltend, begann ich mit dem blutenden Finger den Kreis zu ziehen. Früher hatte ich nie wirklich gespürt, wie die Machete durch mich den magischen Ring im Boden zog, erst seit ich keine Tiere mehr tötete nahm ich das wahr. Vermutlich war es immer schon so gewesen, als zöge ich ihn mit einem Stahlgriffel, aber durch den Ansturm des Todes war es nicht zu spüren gewesen. Ich spürte jeden fallenden Blutstropfen, fühlte den Durst des Bodens, der ihn aufsaugte wie Wasser nach der Dürre, doch es war nicht die Feuchtigkeit, wonach die Erde dürstete, es war die Macht. Ich wusste genau, wann der Kreis um den Grabstein geschlossen war, denn in dem Moment, wo ich am Ausgangspunkt ankam, befiel mich ein Kribbeln, bei dem sich mir die Haare aufrichteten.
    Ich wandte mich dem Grabstein zu, während ich den Machtkreis wie ein unsichtbares Flimmern in der Luft spürte, und trat an das Fußende heran, um den Stein mit der Machete anzuschlagen. »Gordon Bennington, mit Stahl rufe ich dich aus dem Grab.« Ich drückte meine blutige Hand auf den Stein. »Mit Blut rufe ich dich aus dem Grab.« Ich wich zum Rand des Kreises zurück. »Höre mich, Gordon Bennington, höre und gehorche. Mit Stahl, Blut und Macht befehle ich dir, dich aus dem Grab zu erheben. Erhebe dich aus dem Grab und wandle unter uns.«
    Der Erdboden wellte sich wie Wasser und schwemmte die Leiche nach oben. In Horrorfilmen kommen die Toten immer aus dem Grab gekrochen, arbeiten sich angestrengt mit den Händen hervor, als wollte der Boden sie nicht loslassen. In Wirklichkeit gibt er sie bereitwillig her, und der Zombie steigt liegend an die Oberfläche. Es gab diesmal keine Pflanzen, die ihm in den Weg gerieten, über die er stolpern konnte. Er setzte sich ungehindert auf und sah sich um.
    Eines hatte sich geändert, seit ich keine Tieropfer mehr brachte: Meine Zombies waren nicht mehr so hübsch. Mit einem Huhn hätte ich Gordon Bennington aussehen lassen können wie auf seinen Fotos. Mit meinem Blut sah er nach dem aus, was er war: eine reanimierte Leiche.
    Er war nicht furchtbar, ich hatte schon schlimmere gesehen, doch seine Witwe schrie, lang und laut, und dann begann sie zu schluchzen. Ein weiterer Grund, weshalb ich Mrs Bennington nicht hatte dabei haben wollen.
    Der schöne blaue Anzug verbarg die Schusswunde in der Brust, an der ihr Mann gestorben war. Trotzdem sah man, dass er tot war. Zum Beispiel an der Hautfarbe. Und daran, wie eingefallen sein Gesicht wirkte, wodurch die Augen zu rund, zu groß erschienen. Sie wirkten geradezu nackt und drehten sich in den Höhlen, als könnte das wächserne Fleisch sie kaum halten. Die blonden Haare waren stumpf und sahen aus, als wären sie nachgewachsen. Doch das war eine Täuschung, die durch die Schrumpfung des Gewebes entstand. Entgegen der verbreiteten Annahme wachsen Haare und Fingernägel nach dem Tod nicht weiter.
    Eines war noch erforderlich, um Gordon Bennington sprechen zu lassen: Blut. In der Odyssee wird ein Blutopfer gebracht, damit der Geist eines toten Sehers Odysseus Rat geben kann. Es ist eine sehr alte Binsenweisheit, dass die Toten nach Blut dürsten. Ich ging über den wieder festen Boden zu dem Toten und kniete mich vor sein ratloses, runzeliges Angesicht. Da ich in der einen Hand die Machete hielt und die andere blutig war, konnte ich mir den Rock nicht runterziehen. Dadurch bekamen alle reichlich Oberschenkel zu sehen, aber das war nicht weiter wichtig, denn gleich würde ich tun, was mich am meisten an dem tieropferlosen Verfahren
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