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Finnisches Roulette

Finnisches Roulette

Titel: Finnisches Roulette
Autoren: Taavi Soininvaara
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sehen, aber ein Junge mit einem Sack Holzkohle blieb stehen und schaute ihm nach. Die Plastiktüten schaukelten hin und her, als Rossi am Geschäft »Musta Pörssi« entlang durch das Bogengewölbe bis zur Yrjönkatu hetzte, dort blieb er stehen und alarmierte die Notrufzentrale. In Kürze würde der Diplomat Hilfe bekommen.
    Sami Rossi war kaum vom Kukontori verschwunden, als sich ein breitschultriger Mann aus dem Schatten im Eingang eines Telefongeschäfts löste. Er kümmerte sich nicht um die Teenager, die auf dem Platz herumlungerten, sie würden in den nächsten Minuten vollauf damit beschäftigt sein, ihren Freund zu bewundern, der mit seinen Skateboardkünsten prahlte.
    Der Mann, der Shorts und ein Pikeehemd trug, ging in aller Ruhe die zwanzig, dreißig Meter bis zu dem Aufzug, in dem sich Berninger befand. An der Tür zog er sich Handschuhe an, setzte eine George-W.-Bush-Maske aus Gummi auf und vergewisserte sich mit einem kurzen Blick, daß ihn niemand beobachtete.
    Dietmar Berninger schaute in den Spiegel und zog seinen Schlipsknoten zu. Er sah immer noch blaß aus, aber von den anderen Symptomen des Anfalls war keine Spur mehr zu erkennen. Das ganze Schauspiel empfand Berninger als Clownerie. Für die krankhaften Träume von Anna Halberstam und für die Zukunft der Gentechnologie wäre er nie dazu bereit gewesen, aber um des Geldes willen mußte der Mensch sich manchmal unterordnen und solchen Schwachsinn mitmachen.
    Der Mann mit der Maske betrat den Aufzug. Berninger drehte sich um, sein Gesichtsausdruck war verdutzt, als erden amerikanischen Präsidenten aus Gummi erblickte. »Wer zum Teufel sind Sie?« fragte der Diplomat, als der Maskenmann die Faust zum Schlag hob.
    »Ein Sterbe…«, sagte der Mann, und sein Faustschlag betäubte Berninger, »…helfer.« Der zweite Schlag zerschmetterte die Luftröhre des Diplomaten, und ein heftiger Ruck brach ihm das Genick. Berninger sackte leblos zu Boden, und das Blut, das aus seiner Nase floß, verfärbte den weißen Hemdkragen.
    Der Killer verließ den Aufzug. Auf dem Kukontori waren zwar etliche Menschen unterwegs, aber keiner beachtete ihn. Der Mann rannte hinter die Aufzüge, lief so an den Glaskegeln der Dachfenster vorbei, daß die Überwachungskameras ihn nicht erfassen konnten, bog dann nach rechts ab und blieb an der D-Treppe stehen. Er hielt einen Laserstift über seinen Kopf und gab damit ein Zeichen in Richtung der dunkel getönten Fenster der Überwachungszentrale des »Forum«. Zweimal lang und zweimal kurz.
    Der Wachmann, der am Fenster stand, hatte das Zeichen gesehen, es bedeutete, daß er sich die Aufzüge anschauen sollte. Er ging zu seinem Monitor und wählte die Überwachungskamera im ersten Aufzug am Kukontori: Eine Tante mit Sonnenhut und ein Pudel leckten einander ab. Der zweite Fahrstuhl war leer. Der Wachmann erstarrte, als er die Leiche auf dem Fußboden des dritten Aufzugs und das blutverschmierte Hemd erblickte.
    Panik erfaßte ihn und lähmte seine Gedanken. Was war geschehen? Der Wächter spulte die Bilder zurück und schaute dann ungläubig zu, wie der alte Herr ermordet wurde. Er zitterte so, daß er es nur mit großer Mühe schaffte, den Vorgang auf eine CD zu kopieren und die Bilder aus dem dritten Aufzug auf der Festplatte des Zentralrechners zu löschen. Verdammt, in was war er da hineingeraten? Von einem Mord hatte niemand gesprochen.
    2
    »Ich, ich, ich … Anna …«, kreischte das Kakadupärchen Eos und Tithonus, als sich die Schiebetür des Vogelzimmers öffnete und die schmal und schwächlich wirkende Anna Halberstam mit ihrem elektrischen Rollstuhl hereinfuhr. Tithonus flatterte vom Kletterbaum auf die Armlehne des Rollstuhls und drehte immer wieder den Kopf: Er bettelte ständig und wollte im Nacken gekrault werden. Eos zeigte ihre Zuneigung etwas sparsamer als ihre bessere Hälfte.
    Anna streichelte ermattet die hellgelbe Federhaube von Tithonus. Sie liebte ihre Vögel. Die weißen Goldhaubenkakadus mit schwarzem Schnabel gehörten zu den klügsten ihrer Gattung, waren aber krankhaft geltungsbedürftig. Als vor zehn Jahren Annas Krankheit ausbrach, hatte sie einen Kakadu und einen kleinen Flugkäfig gekauft, aber der Vogel hatte unter der Einsamkeit gelitten, sich unablässig seine Federn ausgezupft und war nach wenigen Monaten gestorben. Also machte Anna den großen Wintergarten der Villa Siesmayer zu einem Vogelzimmer und bezahlte einen Fachmann, der den Raum einrichtete. Kletterbäume und Sitzäste aus Buche
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