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Finnisches Roulette

Finnisches Roulette

Titel: Finnisches Roulette
Autoren: Taavi Soininvaara
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Selbstvorwürfen zu ersticken. Sie war gezwungen, sich in ihre Träume zu flüchten, und konzentrierte sich darauf, über die Tochtergesellschaft von H & S Pharma, das biotechnische Forschungsinstitut Genefab, nachzudenken. Auf Werners Anweisung hin hatte Genefab, ein Pionierunternehmen der Gentechnologie, in den letzten fünf Jahren enorme Summen in Forschungen investiert, deren Ziel die Verlängerung des menschlichen Lebens war.
    Anna hatte den Satz von Dr. Klatz nicht vergessen: »Wenn du in zehn Jahren noch lebst, kann es sein, daß du ewig leben wirst.« Das war ihr Mantra. Sie fühlte sich sofort viel besser, und ihre Gedanken erhielten frischen Schwung.
    Eine wesentliche Lebensverlängerung mit den Mitteln der Biotechnologie war jetzt, nach der Enträtselung der Genkarte des Menschen, möglich, glaubte Anna. Die Wissenschaftler suchten fieberhaft nach der in der menschlichenDNS versteckten Information, die das Altern und den Tod regelte.
    Sie wußte, daß es schon gelungen war, die Lebensdauer von Würmern, Fliegen, Mäusen und Affen durch die Manipulation von Genen zu erhöhen und daß japanische Forscher im Hirn einer Maus die Gene gefunden hatten, die die »Uhr« des Organismus kontrollierten. Anna hielt es für sicher, daß man diese Gene bald auch beim Menschen finden würde. Schon planten Wissenschaftler, wie man die biologische Uhr des Menschen anhalten konnte. In den spektakulärsten Szenarien wurde es sogar für möglich gehalten, die Uhr zurückzudrehen – die Zellen des Menschen würden durch neue ersetzt, und der menschliche Organismus würde sich verjüngen. Und wenn man fähig war, die menschlichen Zellen unsterblich zu machen, dann würde auch der Mensch unsterblich werden. Die Forscher hatten schon Zellversuche vorgenommen, die einer Verlängerung des menschlichen Lebensalters um hundert Jahre entsprachen. Das alles hatte Anna gelesen; sie könnte also möglicherweise ewig leben.
    Die Vögel plapperten dankbar, als Forster ihre Freßnäpfe säuberte und mit einer Samenmischung sowie mit Obst und Gemüse füllte. Dann goß er Möhrensaft in ein Glas, legte eine Rilutek-Tablette auf Annas Zunge, flößte ihr das Getränk vorsichtig ein und wischte ihr den Mund ab. Wie lange durfte er noch Annas Gegenwart erleben? Forster wußte, daß die Medikamente nur einen Zeitgewinn bedeuteten. Rilutek verlangsamte das Fortschreiten der Krankheit, heilte sie aber nicht. Es gab nichts, was ALS heilen konnte.
    Die Hausherrin hatte heute einen guten Tag, stellte Forster fest. Ihre Muskeln funktionierten tadellos, und sie konnte sich auch auf das konzentrieren, was um sie herum geschah. Solche Tage wurden immer seltener, denn zusätzlichzu ALS litt Anna auch an einer sich ständig verschlimmernden mittelschweren Depression. Zumeist war sie total niedergeschlagen, nur der Gedanke an ein Medikament gegen ALS und ihre Zukunftsphantasien verdrängten die Depression für einige Augenblicke. Durch ihre Träume blieb Anna am Leben. Er würde helfen, die Träume am Leben zu erhalten, und damit auch Anna. Konrad Forster legte ein Heizkissen unter Annas Füße und verließ das Vogelzimmer, begleitet vom Lärm der Kakadus.
    Annas Gedanken wanderten zurück zu dem Juniwochenende vor Jahren in der Oberstdorfer Villa. An jenem Sonntag hatten ihre Beine versagt, sie mußte ins Krankenhaus und erfuhr von ihrer Krankheit. Sie war mit Werner in der Drahtseilbahn auf den Gipfel des Fellhorns gefahren, um Champagner zu trinken und die atemberaubend schöne Landschaft zu betrachten. Werner hatte sie vergöttert. Die Erinnerung hinterließ einen tiefen Schmerz, in letzter Zeit weckten nur wenige Bilder diesen Teil ihrer Seele. Widerwillig kostete sie den Möhrensaft.
    Die Probleme brachen über sie herein, sobald sie sich nicht auf ihre Träume oder Erinnerungen konzentrierte. Anna wußte nicht, warum die Future Ltd. versuchte H & S Pharma zu erobern und warum sie die Namen ihrer Eigentümer geheimhielt. Vielleicht wollte die Firma, daß Genefab irgend etwas Abscheuliches erforschte und entwickelte. Anna glaubte, daß die Wirrköpfe mit Hilfe der Biotechnologie schon bald in der Lage sein würden, jede beliebige Scheußlichkeit zu entwickeln: Massenvernichtungswaffen mit einer bisher nicht gekannten Effizienz, im Reagenzglas aufgezogene menschliche Embryos, im Organismus von Schweinen hergestellte menschliche Organe, genetisch veredelte Menschen, menschliche Klone und Mischformen von Menschen und Tieren … Annas Lippen zuckten, als
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