Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Finnisches Inferno: Kriminalroman (Arto Ratamo ermittelt) (German Edition)

Finnisches Inferno: Kriminalroman (Arto Ratamo ermittelt) (German Edition)

Titel: Finnisches Inferno: Kriminalroman (Arto Ratamo ermittelt) (German Edition)
Autoren: Taavi Soininvaara
Vom Netzwerk:
war es schon fünf vor acht, und der erste Vater kam seine Tochter abholen. Die Kinder, die in der Nähe wohnten, durften allein nach Hause gehen.
    Nachdem das letzte Mädchen verabschiedet war, erklang aus Nellis Zimmer ein ohrenbetäubendes Kratzen. Sie probierte ihre neue Geige. Ratamo ging zu ihr, sagte ein paar aufmunternde Worte und schloss dann die Tür. Er war glücklich, dass Nelli überhaupt musizieren konnte. Gleich nach ihrer schweren Verletzung in jenem Sommer schien es so, als hätte ihr Gehör bleibenden Schaden genommen, aber zur Überraschung der Ärzte war nun alles wieder völlig in Ordnung. Schon bald nach ihrer Genesung begeisterte sich seine Tochter für Musik.Das war dem Vater mehr als recht, vor allem weil Nelli versprochen hatte, nicht mehr um einen Hund zu betteln, wenn sie Geigenunterricht nehmen durfte. Ratamo mochte Hunde, wollte aber im Steindschungel des Stadtzentrums kein Tier halten. Später hatte er festgestellt, dass man eine Geige zwar nicht ausführen musste, dafür jaulte sie aber lauter als jeder Hund.
    »Darf ich etwas Stärkeres als Jaffa anbieten?«, fragte er im Wohnzimmer Marketta und Aalto.
    Marketta wollte noch Kaffee, und Aalto schüttelte den Kopf, obwohl er in der Regel immer Bier trank, wenn sich die Gelegenheit dazu bot. Der Hausherr ging in die Küche und hörte, wie sich seine Ex-Schwiegermutter nach Timos Befinden erkundigte.
    »… und letzte Woche konnte ich das erste Mal seit einem halben Jahr einen Ausflug machen, um Vögel zu beobachten. Das musste sein. In die Nähe von Raahe hatte sich nämlich eine Pagophila eburnea verirrt – eine Elfenbeinmöwe. Deren nächstgelegene Nistplätze befinden sich auf Spitzbergen«, erzählte Aalto gerade voller Begeisterung, als Ratamo mit dem Tablett in der Hand zurückkam.
    Marketta trank ihren Kaffee rasch aus. »Arto, vergiss nicht, Nelli ein schwarzes Kleid für das Begräbnis zu kaufen«, sagte sie beim Aufstehen. »Und vielen Dank für die Bewirtung. Den Kindern hat es ja anscheinend wirklich großen Spaß gemacht.«
    Das Begräbnis seiner Großmutter hatte Ratamo für die Zeit der Geburtstagsfeier verdrängt. Ihm fiel ein, dass Marketta nicht viel jünger als seine Oma war. Woher nahm die verwitwete siebzig Jahre alte Ex-Schwiegermutter nach dem Verlust ihres einzigen Kindes diese Lebensfreude? Markettas Vorbild gab ihm in schwierigen Zeiten Kraft.
    »So, Himoaalto. Wie wär’s mit einem Calvados?«, sagte Ratamo.
    »Wahrscheinlich ist es besser, wenn ich auch gehe. Sonst kriege ich Ärger, weil ich schon wieder nicht zu Hause bin. Außerdem bin ich vom Flug noch müde. Ich habe in der Maschine nur zwei Stunden geschlafen, und wenn ich mich heute Mittag hingelegt hätte, wäre mein Rhythmus endgültig durcheinandergeraten. Aus irgendeinem Grund ist es verdammt anstrengend, in Richtung Osten zu fliegen«, erwiderte Aalto und gähnte. Er war am Morgen von einer Datenschutzkonferenz aus Miami zurückgekehrt.
    »Na, dann gehen wir eben morgen Abend nach langer Zeit mal wieder gemeinsam in die Sauna. Und vorher laufen wir eine Runde«, schlug Ratamo vor.
    »Einem gesunden Mann reicht als körperliche Betätigung der Sprung auf die Sportseiten in der Zeitung«, entgegnete Aalto, während er seinen Anorak überzog. Draußen herrschte schon seit vielen Tagen klirrender Frost.
    Als Ratamo hörte, wie die Wohnungstür geschlossen wurde, gönnte er sich ein Glas von seiner Neuentdeckung, dem Ålvados-Calvados von den Ålandinseln. Himoaaltos Verhalten fand er seltsam. Sie hatten den Kindergarten und die Schule bis zum Abitur gemeinsam besucht und in den gleichen Vereinen Sport getrieben. Sie waren wie Brüder und hatten immer engen Kontakt gehalten, bis zum vergangenen Jahr, als Timo seine kleine Softwarefirma an SH-Secure verkauft und dafür einen Haufen Geld, Aktienoptionen und den Posten des Direktors für Software bekommen hatte. Die Aktien des Datenschutzunternehmens waren kurz darauf wegen irgendeines Kooperationsvertrags in die Höhe geschnellt. Timo arbeitete fast rund um die Uhr, rief nie an und war immer müde und gereizt. Stand er kurz vor dem Burn-out, oder hatte er ihn aus seinem Bekanntenkreis gestrichen? Sein bester Freund war doch nicht etwa ein neureicher Emporkömmling geworden, der seine Freunde wiedie Autos wechselte? Es fiel ihm schwer, das zu glauben, Timos Verhältnis zum Geld war immer so gewesen wie das eines Eunuchen zu Frauen. Einzelheiten zum Verkauf der Firma kannte Ratamo nicht, denn über ihre
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher