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Finne dich selbst!

Finne dich selbst!

Titel: Finne dich selbst!
Autoren: Bernd Gieseking
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an Rentier- und Schlittenverleih. Das wäre eine umweltfreundliche Alternative, zumindest für Nahverkehrsbereiche.
     
    Ob wir etwas abholen könnten, fragte mich Lilja. Sie müsse Fleisch für ihren Sohn vom »Rentiermann« holen. Er wohnte außerhalb von Ivalo. Rechts und links zwei größere Gebäude. Im linken die Zimmermannswerkstatt. Die meisten Männer haben hier zwei bis drei Berufe, denen sie je nach Jahreszeit nachgehen. Sie jagen, arbeiten im Winter manchmal im Tourismus, und im Sommer arbeitete dieser als Zimmermann und baute Saunen und Blockhäuser, ansonsten war er ganzjährig Rentierzüchter.
    Wir wurden hereingebeten, und ich sah zum ersten Mal ein typisches, finnisches »Bauernhaus« von innen, erheblich kleiner als die Häuser im Westfälischen. Ein alter, holzbefeuerter Herd, auf dem noch die Eisenringe lagen, mit denen man das Feuerloch unter dem jeweiligen Topf in der Größe regulieren konnte, daneben aber der Elektroherd, tiptop blank gewienert. Heute prasselte das Feuer im großen Ofen, damit die Wohnung geheizt wurde.
    Lilja stellte mich vor. Bewundernd sagte ich: »Du bist Jäger?«
    Er nickte, winkte mir und nahm mich mit in den Vorraum. Ein Berg Mäntel hing an der Wand. Er nahm sie ab. Zum Vorschein kam ein gigantisches Elchgeweih. »Den habe ich geschossen!«, sagte er mit Stolz und Nachdruck.
    An seiner Hüfte baumelte das Finnenmesser. Das trägt man hier so selbstverständlich wie wir unsere Handys. Draußen hatte ich zwei Huskys gesehen.
    »Zum Schlittenfahren?«, fragte ich.
    Er wehrte ab. Nein, die seien nur für die Jagd. Mutter und Tochter. Den Welpen werde er bald ausbilden für die Bärenjagd.
    »Hier gibt es Bären?«
    »Ja, draußen in der Natur.«
    »Wo fängt die an?«
    Er lachte: »Die Natur beginnt vor dem Haus. Aber das Bärengebiet ist so 15 bis 20  Kilometer entfernt.«
    Dann zeigte er mir eine Fellmütze und setzte sie auf.
    »Ein Wolf!«, sagte er stolz. »Habe ich auch geschossen.«
    Und er erklärte mir, dass er den Husky nie mitnimmt, wenn er auf Wolfsjagd geht, denn der Wolf sei zu gefährlich für den Hund. Ich fragte vorsichtig, ob der Wolf nicht auch gefährlich für ihn sei. Der Rentiermann, ein echter Kerl, eine »Kante«, wie wir in Ostwestfalen sagen, fast 1 , 90 Meter, eine Art Raimund Harmstorf oder Dolf Lundgren, schaute von oben auf mich herab und sagte, leicht bedrohlich: »Ich bin zu gefährlich für den Wolf!« Dann grinste er. Okay, die Mütze bewies das.
    Er drückte mir eine Geweihstange in die Hand, eine »Elchschaufel«. Uff! Und das hält der Elch oben? Den ganzen Tag? Und ich hatte hier ja nur eine Geweihhälfte in den Händen.
    Dann standen wir draußen und schauten in die verschneite Nacht, obwohl erst früher Nachmittag war.
    »Alles so friedlich hier«, sagte ich.
    »Das täuscht manchmal. Auch unter den Rentierzüchtern, auch unter den Samen hat es Geschichten gegeben, regelrechte Weidekriege, aus denen man finnische Western hätte machen können.«
    »Immer noch?«
    »Das hat sich gebessert«, lachte er.
    Lilja kam heraus und hatte eine große Portion Rentierfleisch bekommen. Wir fuhren nach Hause.
     
    Der nächste Morgen. Heute würde ich abreisen. Ich schaute aus dem Fenster. Auf dem Ivalojoki fuhren schon erste Schnee-Scooter. Ihre Motoren dröhnten durch den frühen Morgen. Zum Abschied stieg mir ein interessanter Geruch in die Nase.
    »Na, was kochst du?«, fragte ich.
    »Ich brate dir etwas«, sagte sie.
    »Mir? Um 7  Uhr  30 ?«, lachte ich.
    »Ja, ich finde, du kannst nicht nach Hause gehen, ohne Bär gegessen zu haben.«
    »Wie bitte?«
    »Bär. Ich hatte noch was in der Kühltruhe. Ein paar Stücke. Vom Rentiermann.«
    Nun brutzelte Bärenfleisch in der Pfanne. Es war noch keine acht Uhr. Seit ich nicht mehr als Zimmermann auf dem Bau arbeite, sind meine Frühstücksportionen erheblich geschmolzen. Nun gab es plötzlich Bärenfleisch zum Frühstück. Mir war nicht ganz wohl. Ich schnitt ein kleines Stück ab. Ich kaute. Der Geschmack erinnerte mich an etwas zu trockenes Rindfleisch. Sonst war das sehr lecker. Lilja sagte, der Bär sei ein fauler Bär gewesen, nicht aktiv genug, das Fleisch daher etwas zäh. Aber wer so etwas isst, muss sich so fühlen, wie der Rentiermann auftrat. Ich erinnerte mich an seinen Satz: »Ich bin zu gefährlich für den Wolf!« Gleich würde ich zum Flughafen von Ivalo fahren und den Flieger nach Helsinki nehmen, von dort direkt weiterreisen nach Deutschland. Mit Bär im Magen und Resten von
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