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Finne dich selbst!

Finne dich selbst!

Titel: Finne dich selbst!
Autoren: Bernd Gieseking
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Fähre, um nun tagsüber die Fahrt durch Finnlands und Schwedens Schärenlandschaft zu genießen. Von der Reling aus sehen wir beeindruckende Panoramen. Wir gleiten zwischen Inseln und Felsen hindurch. Gegen Abend nähern wir uns der schwedischen Küste. Es wird kühl draußen. Wir gehen hinein. Ich hole Kaffee. Meine Eltern stehen noch unentschlossen im Gang. Die meisten Plätze am Panoramafenster der Fähre sind besetzt. Eine Frau sitzt allein an einem Tisch, vor sich einen Laptop, einen Zeichenblock, in der Hand ein Buch.
    »Dürfen wir?«
    »Gerne.«
    Wir kommen ins Gespräch. Helena. Aus Schweden. Lange Haare, zum Zopf gebunden, ein paar Strähnen grau, etwa in meinem Alter. Und – barfuß. Ich stelle meine Eltern und mich vor. Sie ist auf dem Weg nach Hause. Helena ist Künstlerin und lebt in Stockholm. Sie arbeitet an einem Projekt für das Kulturhauptstadtjahr in Turku. Ilse reagiert pragmatisch: »Von Kunst verstehen wir nichts.«
    »Das Leben ist die Kunst«, sagt Helena.
    Wir schauen durch das Panoramafenster auf die Schären.
    »Und ihr?«
    Wir erzählen, dass wir Axel besucht haben, den Sohn und Bruder, nach Finnland ausgewandert wegen der Liebe. Der Bordlautsprecher ruft die Gäste in die Autos. Helena schaut auf ihre nackten Füße. Sie sinnt über Axel nach, seine, unsere und ihre Reise, und schenkt uns zum Abschied einen Satz: »Die Menschen haben keine Wurzeln, sie haben Füße. Damit gehen sie, damit die Welt sich dreht. Auch wenn ihnen das nicht bewusst ist.«
     
    Wir fahren durch Schweden. Am Abend finde ich ein kleines Hotel für uns. Mit Blick auf einen See. Darunter machen wir es nicht mehr. Am nächsten Morgen geht es weiter, wir setzen mit einer Fähre über von Schweden nach Dänemark. Direkt hinter der Grenze, eine knappe Stunde von Kopenhagen entfernt, liegt Humlebæk. Hier ist das Louisiana, eines der schönsten Museen der Welt. Der ehemalige Gutshof liegt in einem sich weit verzweigenden Grundstück direkt am Meer.
    »Ich wollte hier noch mal ins Museum.«
    »Könnst du jo moaken«, sagt Hermann.
    »Kommt ihr mit?«
    »Ins Museum? Wir waren doch schon im Akkordeonmuseum.«
    »Das hier ist ein Kunstmuseum.«
    »Wi verstoaht over nix van Kunst.«
    »Muss man doch auch gar nicht. Man schaut aufs Bild, und entweder es gefällt einem oder nicht. Ganz einfach. Mehr muss man doch erst mal gar nicht wissen.«
    »So einfach funktioniert Kunst?«, grinst Ilse.
    »Nix für mich«, grummelt Hermann.
    Schweigen.
    »Der Kerl geht mit mir nirgends hin.«
    Schweigen.
    »Ich war gerade mit dir in Finnland!«
    Schweigen.
    In der Zwischenzeit war ich von der Fähre zum Louisiana gefahren und hatte vor dem Eingang geparkt: »Los jetzt!«
    Wir gehen durch das Foyer, erst mal hinaus in den Park. Ein bisschen besorgt bin ich schon. Überfordere ich meine Eltern? Muss man sich für Kunst interessieren? Sollte ich die jetzt wirklich noch zu Picasso und Bacon führen? Oft kann ich mir ja nicht mal selber erklären, was ich daran gut finde oder was die Kunst mir sagen will.
    Der Garten ist voll von Menschen. Hunderte. Familien. Kinder spielen. Paare liegen auf dem Rasen. Frauen studieren Kunstführer. Vor dem Café wird ausgiebig gespeist, manche sonnen sich, andere liegen im Schatten, wieder andere umströmen die Skulpturen.
    Hermann ist perplex: »Die haben aber nicht alle Eintritt bezahlt? Oder?« Fassungslos schaut er auf die Massen: »Und die verstehen alle, was sie hier sehen?«
    »Na ja, einige wollen sicher auch nur sagen können, dass sie hier waren. Ob die mehr begreifen als wir, das bleibt noch die Frage.«
    Wir haben erst einmal sehr viel Vergnügen an den anderen Besuchern. Manche geben sich schon äußerlich als ganz eigene Kunstwerke. Eine Dame flaniert vorbei, karottenrote Haare, giftgrünes Minikleid, grellgelbe Boa, hellblaue, hochhackige Pumps.
    Ilse kommentiert knapp: »No, ütt hätt sick over anne mustert.« Na, die hat sich aber angemustert! Übersetzt: »Das geht gar nicht!«
    Rechts in den Büschen eine Figur. Ilse beugt sich zum Namensschild: »Kiek eis, Miró!«, sagt sie ganz selbstverständlich.
    »Woher kennst du den denn?«, frage ich erstaunt.
    »Bei Matti in der Wohnung hing doch ein Bild von Miró.«
    Ich bin beeindruckt.
    »Mi-Ro?«, meint Hermann listig. »Klingt wie ein Mindener Autokennzeichen.«
    Dann führe ich sie zu meinem absoluten Favoriten. In den Giacometti-Raum. Man schaut von oben in einen großen Würfel. Die Rückwand ist komplett verglast. Die gesamte Front
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