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Finn und der Kristall der Zeit (German Edition)

Finn und der Kristall der Zeit (German Edition)

Titel: Finn und der Kristall der Zeit (German Edition)
Autoren: Martina Konrad
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Hans tat, als interessierten ihn die Vorgänge im Waisenhause nicht.
    Schließlich, nach mehr als einer Stunde, öffnete sich die Tür. Fräulein Winter trat zuerst in den Flur, überflog rasch die Gesichter ihrer Kinder, bis sie Finn entdeckte. Dann begann sie zu lächeln.
    „Finn“, sagte sie, „würdest du bitte mit in mein Büro kommen?“
     
    Nun war es beschlossene Sache. Finn würde zu dem Ehepaar Schmidt ziehen und als ihr Sohn adoptiert werden. Gleich am nächsten Tag würde man ihn abholen, und mit ihm in die große Stadt fahren  und von dort aus weiter bis hoch in den Norden, wo das Paar zuhause war.
    Finn hatte ein langes Gespräch mit den beiden im Büro der Heimleiterin geführt, und was sie erzählten, klang wirklich gut. Herr Schmidt arbeitete bei einer Bank, während seine Frau sich um das große Haus kümmerte. Leider hatten die beiden in all den Jahren keine eigenen Kinder bekommen, so dass sie sich dazu entschlossen, einen Jungen zu adoptieren.
    Finn hatte ein wenig beklommen gefragt, ob er die beiden sofort Mama und Papa nennen müsse. Sie waren ihm, genau wie die Anrede selber, noch ein wenig zu fremd dafür. Daraufhin hatte die schöne Frau gelacht und gesagt, Finn könne sie ja am Anfang noch „Heinz“ und „Lydia“ nennen. Allerdings kam es Finn noch merkwürdiger vor, einen Erwachsenen einfach so mit dem Vornamen anzusprechen, also entschloss er für sich, das Nennen eines Namens ganz zu umgehen.
     
    Ein wenig eigenartig fühlte sich Finn, als er sich abends ein letztes Mal in sein altes Bett im Kinderheim legte. Nie wieder sollte er in einem Zimmer mit Peter, Hans und dem kleinen Karl liegen, nie wieder ihre vertrauten Geräusche beim Schlafen hören.
    Er spürte bereits jetzt, dass er nicht mehr zu ihnen gehörte. Schon beim Essen hatte kaum jemand mit ihm gesprochen, und auch in der kleinen Schlafkammer starrten ihn seine Freunde beinahe ehrfürchtig von der Seite an, wandten aber schnell den Kopf ab, sobald er es bemerkte.
    Lediglich der große Hans wechselte ein paar Worte mit ihm.
    „Sie mussten dich nehmen“, sagte er weise.
    „Sie wollten dich von Anfang an, glaube ich.“
    Finn war verwirrt.
    „Woher weißt du das denn?“, fragte er erstaunt.
    „Als sie auf das Grundstück kamen, haben sie uns gefragt, wie wir heißen“, berichtete Hans, „und sie wollten auch wissen, wie der Junge hieß, der gerade weg gelaufen war – das warst du. Als wir ihnen deinen Namen sagten, sahen sie sich an, und die Frau sagte ‚Soso, Finn heißt er also‘. Und da wusste ich schon, dass sie dich nehmen würden.“
    „Nur weil ihnen mein Name gefiel?“
    Finn schien das nicht gerade ein einleuchtender Grund zu sein.
    „Ich weiß es nicht“, bemerkte der große Junge, während er sich das Nachthemd über den Kopf zog.
    „Ich hab dir nur erzählt, wie es war.“
     
    Am nächsten Morgen, als die anderen Kinder in der Schule waren, packte Finn seine wenigen Habseligkeiten in eine Tasche. Seine Schulkleidung, die Winterschuhe, die ihm – oh je – schon ein wenig klein geworden waren, die beiden Briefe von Rosie.
    Rosie!
    Entsetzt über sein Versäumnis rannte er die Treppe hinunter zum Büro der Heimleiterin und klopfte so laut er konnte an.
    Als Fräulein Winter die Tür öffnete, sprudelte er sein Anliegen hervor: er habe vergessen, ihr eine Nachricht über seinen Fortgang zu schicken, und ob sie das nicht vielleicht für ihn tun könnte. Sobald er in der neuen Heimat angekommen sei, wolle er selber einen Brief schreiben, aber Rosie sollte doch sofort Bescheid wissen!
    Fräulein Winter lächelte über den aufgeregten Jungen und versprach ihm alles. Dann kniete sie sich hin und sah ihm in die Augen, wie damals, als sie ihn wegen Rosie ermahnt hatte, und auch dieses Mal nahm sie ihn in den Arm.
    „Versprich mir“, sagte sie, „dass du dich gut benehmen wirst. Mach unserem kleinen Waisenhaus keine Schande.
    Aber vor allem“, setzte sie hinzu, „sollst du wissen, dass, egal was kommen mag, wir immer für dich da sind.“
    Finn wurde ganz wunderlich zumute. So aufgeregt war er gewesen, dass er nun endlich eine eigene Familie bekommen sollte, dass er verdrängt hatte, dass damit auch ein Abschied von all den Menschen verbunden war, mit denen er sein ganzes Leben verbracht hatte.
    Finn wusste, dass Fräulein Winter die Kinder liebte, und zum ersten Mal kam ihm der Gedanke, dass sein Fortgang sie schmerzen könnte. In diesem Moment hätte er am liebsten alles rückgängig gemacht,
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