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Finn und der Kristall der Zeit (German Edition)

Finn und der Kristall der Zeit (German Edition)

Titel: Finn und der Kristall der Zeit (German Edition)
Autoren: Martina Konrad
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und es klag fast genauso wie bei Rosie. Ihre Augen glänzten ein wenig. „Er zog in den Krieg, und von dort kam er nie zurück. Rosie dagegen wird nur in die große Stadt ziehen, zu einer netten Familie, die sie als Dienstmädchen anstellen wird. Sie wird dort arbeiten, und da sie sehr fleißig ist, wird sie das gut machen. Aber sie wird auch lernen, wie es in einer richtigen Familie so zugeht, und das ist schön für sie. Das bedeutet aber nicht, dass sie dich jemals vergessen wird. Du weißt selber wie sehr sie dich liebt. Seit dem Tag, als der alte Wilhelm und der Polizist dich ins Waisenhaus brachten, hat sie sich um dich gekümmert. Sie wird immer deine große Schwester sein, auch wenn sie jetzt weiter weg lebt.  Das weißt du doch?“
Finn nickte langsam.
    „Ja, natürlich“, sagte er dann endlich. „Es war nur… ich habe einfach nie darüber nachgedacht, dass sich irgendetwas ändern könnte!“
    Fräulein Winter breitete die Arme aus und umarmte Finn. Er schmiegte sich an den rauen Stoff ihrer Wolljacke und fühlte sich merkwürdig getröstet. Dann trat er einen Schritt zurück.
    „Ich muss… darf ich schnell gehen? Ich möchte mit Rosie reden!“
    Und er drehte sich um und lief schnell davon.
     
    Ohne Rosie wurde das Leben im Waisenhaus anders. Da war niemand mehr, der sich darum sorgte, dass er seine Hausaufgaben machte, niemand, der mit ihm schimpfte, wenn er die Zeit verträumte.
    Zwar hatte Rosie ihm, als sie sich von ihm verabschiedete, das Versprechen abgenommen, dass er sich weiterhin in der Schule anstrengen sollte, aber obwohl er sich redliche Mühe gab, hatte er doch das Gefühl, ohne den wachsamen Blick seiner großen Schwester viel mehr Freiheiten zu haben als früher.
    Seit Rosies Fortgang vor einigen Wochen hatte er sie nicht mehr gesehen, aber sie hatte ihm zwei schöne, lange Briefe geschickt.
    In der großen Stadt schien es ihr zu gefallen; sie berichtete begeistert von den Geschäften voller Spielzeug, von den Damen mit den teuren Kleidern, von den schönen Autos, der Straßenbahn und vornehmen  Kutschen, die sie gesehen hatte.
    Immer häufiger begann sich Finn zu fragen, was er selber später einmal tun würde. Rosie hatte immer gesagt, er solle fleißig lernen, damit er später einmal viel Geld verdienen könne, aber je mehr er darüber nachdachte, desto unwahrscheinlicher erschien es ihm, dass er, selbst mit den besten Noten in der Schule, eine jener Anstellungen bekommen könnte, in denen man viel Geld verdiente. Wenn er sich so umsah, kam es ihm so vor, als würden immer diejenigen Menschen viel Geld verdienen, welche ohnehin schon viel Geld besaßen.
    Gustav beispielsweise, der Sohn des Kaufmannes, der immer, sogar im Sommer, Lederschuhe trug und dessen Vater ein Automobil besaß, würde später einmal den Laden seines Vaters übernehmen und dann selber viel Geld verdienen. Mit reichen Eltern war das einfach.
    Manchmal fragte sich Finn, wer wohl seine eigenen Eltern waren.
    Man hatte ihm die Geschichte erzählt, wie er eines Nachts, während eines Gewitters, auf den Stufen von St. Bonifaz gefunden worden war. Der alte Wilhelm behauptete allerdings, der Himmel sei ganz klar gewesen, so dass da eigentlich kein Gewitter gewesen sein konnte, aber alle anderen waren sich sicher, dass es in dieser Nacht gedonnert hatte, also hatte der alte Wilhelm wohl wieder mal zu tief in seine Schnapsflasche geguckt.
    Irgendjemand hatte ihn auf den Stufen der Kirche nieder gelegt und war dann verschwunden. In eine alte, graue Decke war er eingewickelt gewesen mit sonst nichts am Leibe (und das bei der Kälte, wie sich Rosie immer empörte, wenn sie die Geschichte erzählte), und in der Decke hatte ein Zettel gesteckt, auf dem sein Name gestanden hatte: Finn.
    Finn wusste, dass der Zettel irgendwo bei der Polizei geblieben war – „falls wir irgendwann herausfinden, wer die Eltern sind“, wie der Polizist damals zu Fräulein Winter gesagt hatte, aber Finn ahnte wohl, dass es albern war, darauf zu warten.
    Eltern, die ihre Kinder auf Kirchenstufen aussetzten, wollten diese Kinder im Allgemeinen nicht wieder zurück haben.
    Manchmal blickte Finn in den Spiegel und versuchte sich vorzustellen, wie seine unbekannten Eltern wohl ausgesehen haben mochten. War seine Mutter rotblond, wie er? Hatte sie vielleicht dieselben Locken? Die blauen Augen, waren sie vom Vater? Und die drei Sommersprossen?
    Vermutlich würde er es nie erfahren.
    Trotzdem stellte er sich manchmal vor, dass seine Eltern eines
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