Finger, Hut und Teufelsbrut
Rathaus ins Goldene Buch der Stadt einträgt und anschließend im
Indian Forum
speist. Und für die morgige Ausgabe schreiben Sie doch bitte schnell noch eine nette Ankündigung.«
»Der indische Kulturattaché … für morgen«, wiederholte MaC, die eigentlich noch zwei Interviewtermine mit einem Unicorn-Spieler und einem Neurochirurgen am Diakoniekrankenhaus wahrnehmen musste und noch zwei weitere Artikel über das Freilandmuseum Wackershofen und die neue Aufführung des Theaterrings schreiben sollte und überhaupt gar keine Zeit für einen weiteren Auftrag hatte.
»Ich dachte dabei an Kommentare von bekannten Haller Bürgern zum deutsch-indischen Verhältnis«, schlug ihr Chef vor.
»Kommentare von Haller Bürgern zum deutsch-indischen Verhältnis«, wiederholte MaC. Im Umgang mit Vorgesetzten fand sie es nicht von Nachteil, zum Papageien zu mutieren.
»Und ein paar Zeilen über das
Indian Forum
und seine Geschichte«, fuhr ihr Chef fort. »Sie kümmern sich bitte sofort darum, nicht wahr?« Das war nicht wirklich eine Frage.
»Sofort, geht klar«, sagte MaC, obwohl ihr Chefredakteur schon längst aufgelegt hatte. Sie wusste zwar nicht, wie sie das alles noch in ihren ohnehin bereits übervollen Terminkalender einschieben sollte, aber besser zu viel zu tun als zu wenig. Sie durfte jetzt nicht ins Grübeln kommen.
Also auf zur Metzgerei, einen Salat geholt (oder besser zwei), den Trolley rasch nach Hause gebracht und dann in die Redaktion düsen. MaC stapfte schneller.
Doch sie schaffte es nicht bis zur Metzgerei.
»Entschuldigung, Sie sind doch die Journalistin, nicht wahr? Ich verfolge Ihre Artikel mit großem Interesse.«
MaC blieb stehen. Eine sehr hübsche, sehr junge Frau in einem leuchtend türkisfarbenen Sari war von hinten an sie herangetreten und sah sie nun aus tränenfeuchten Augen an.
Was jetzt? MaC war nicht in der Stimmung, von irgendjemandem angesprochen zu werden, schon gar nicht von Frauen, die halb so alt waren wie sie selbst und trotz verheultem Gesicht umwerfend schön aussahen. MaC hatte ihr Spiegelbild unterwegs in diversen Schaufenstern gesehen und sich vor sich selbst gegruselt: das heulende Elend. Ein vergleichsweise ziemlich faltiges, heulendes Elend. Wie der Grand Canyon während der Frühjahrsschmelze.
»Aha«, bellte sie daher unfreundlich.
»Ich konnte nicht anders, als eben mit anzuhören … Sie schreiben über Indien … über den indischen Kulturattaché … weil nämlich … Ich weiß nicht, was ich tun soll«, fing die junge Frau stockend an, dann brach ihr die Stimme.
Ungeduldig blickte MaC auf ihre Armbanduhr. Eine Männeruhr, von ihrem Vater geerbt. Sie wusste, dass sie kaltschnäuzig war, aber sie hatte genug Kummer in ihrem eigenen Leben und brauchte den von hübschen, jungen Inderinnen nicht auch noch. Und überhaupt: Was konnten hübsche, junge Frauen schon für Probleme haben? Egal, was es war, ihr Leben würde weitergehen. Wohingegen bei Marianne die Uhr tickte. Würde sie nach Siggi jemals wieder einen Mann für sich gewinnen können? Aber sollte sie nur aus Angst vor Einsamkeit bei einem Mann bleiben, der unablässig mit anderen flirtete und sie womöglich ohnehin demnächst für eine halb so Alte – noch dazu vom Radio! – sitzen lassen würde?
Erst jetzt merkte MaC, dass die junge Frau etwas zu ihr gesagt hatte. »Was? Könnten Sie das wiederholen?«
»Bitte«, flehte die junge Frau, die sehr gut Deutsch sprach, wenn auch mit einer ungewohnten, höchstwahrscheinlich indischen Sprachmelodie. »Bitte, Sie müssen mir helfen. Ich weiß mit absoluter Sicherheit, dass der indische Kulturattaché entführt werden soll. Aber niemand glaubt mir. Ich habe niemanden, an den ich mich wenden kann! Helfen Sie mir! Bitte!«
Es ist keine Lüge, wenn man selbst dran glaubt.
Rani Chopra hatte MaCs Neugier geweckt.
Sie war Journalistin aus Leidenschaft. Es gab keine langweiligen Themen, es gab nur langweilige Berichterstattungen. Über die Prachtsau auf dem Krämer- und Schweinemarkt in der Nachbargemeinde Braunsbach schrieb sie ebenso investigativ wie über die Stadtwerke Schwäbisch Hall, die ihre Gewinne mit riskanten Auslandsinvestitionen aufs Spiel setzten, statt sie in die Wartung ihrer eigenen Anlagen zu stecken, weswegen es in letzter Zeit vermutlich vermehrt zu Stromausfällen gekommen war.
MaC war zudem eine knallharte Journalistin ohne Angst vor heißen Eisen. Sie war eine Frau, die, ohne mit der Wimper zu zucken, einen ökumenischen
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