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Finale auf Föhr

Finale auf Föhr

Titel: Finale auf Föhr
Autoren: Martin dodenhoeft
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gierig waren die Möwen über den Ertrunkenen hergefallen, hackend, reißend, kreischend und zerrend – es war kein schönes Bild gewesen.
    Erinnerungen ... Er blickte in Richtung Westen, auf die Meerenge zwischen Sylt und Amrum. Da war es gewesen. Da war damals das Vorpostenboot, ein Kriegsfischkutter, untergegangen. Der britische Jagdbomber hatte ganze Arbeit geleistet. Von den siebzehn Besatzungsmitgliedern hatte er als Einziger überlebt. Die meisten Kameraden hatte man später gefunden, und die Möwen hatten auch damals die Leichen ... Immer wieder musste er daran denken, ja es zog ihn fast magisch dorthin. Es schnürte ihm den Hals zu. Aber nein. Für so etwas war jetzt wirklich keine Zeit! Er drehte sich um, breitete beide Arme weit aus und rief: »Halt! Keinen Schritt weiter. Ist ein Arzt hier?«
    Die Möwen flogen auf und kreisten über ihnen, kreischend, als wollten sie die Gruppe vertreiben. Endlich begriffen es die Menschen. Ein Toter, wie sollte das anders sein! Jetzt sah man es auch deutlich, da lag jemand. Sofort begann ein erregtes Gemurmel. Eine Frau schrie auf, eine zweite begann zu schluchzen. Weiber! Wenn Trude das sähe, würde sie nur verächtlich schnauben. Seine Schwester Gertrud war eben aus anderem Holz geschnitzt. Deshalb hatten sie sich immer so gut verstanden, seit damals, als er aus Krieg und Gefangenschaft wiedergekommen war. Das Leben auf den Inseln war mehr als hart gewesen. Da musste man sehen, wo man blieb, da musste man sich durchsetzen.
    Trotz seiner Aufforderung setzte sich die Gruppe in Bewegung, Richtung reglos daliegender Körper. Er hatte es geahnt. Er rief ihnen hinterher: »Nichts anfassen! Ist denn nun ein Arzt hier?« Die Wattwanderer waren bei dem ausgestreckt daliegenden Körper angelangt und scharten sich im Kreis darum. Offenbar ein Mann, in Badehose, auf dem Bauch liegend. Die Möwen hatten mit ihren scharfen Schnäbeln den Rücken und die Beine aufgerissen. Überall blutige Wunden. Weißes Haar. Einige der Frauen wandten sich ab und gingen zur Seite, auch einige Männer.
    »Ein Arzt, verdammt noch mal! Oder ein Sanitäter!« Niemand regte sich. Natürlich. Brauchte man mal einen, war keiner da. Außer dem Fächeln des immer noch kühlen Morgenwindes und einem unterdrückten Schluchzen war nichts zu hören. In einiger Entfernung hatten sich die Möwen niedergelassen. Ab und zu hörte man ihr missmutiges Krächzen und Kreischen. Diese Beute war verloren.
    Bleibt denn mal wieder alles an mir hängen, dachte Hansen. Gleichzeitig spürte er, wie ihn eine fiebrige Spannung erfasste. Jetzt, jetzt kam alles auf ihn allein an! Polizei und Rettung waren sofort zu verständigen, die Leiche musste schnell vom Watt. Der SAR-Hubschrauber würde gerufen werden. Die Urlauber mussten alsbald nach Amrum, nein, besser zurück. Sie hatten zwar bezahlt ... aber Pech. Jetzt galten andere Prioritäten. Für stundenlanges Herumstehen war natürlich keine Zeit. Die Flut würde kommen, ob die Neugier nun gestillt war oder nicht!
    Der Körper regte sich nicht. Wie denn auch. Hansen kniete sich neben den Mann, überwand sich und rollte ihn halb herum. Blaue Augen, offen, der leere Blick eines Toten. Zu oft hatte Hansen das gesehen, damals, während des Krieges, als er in die letzten Kämpfe in Norddeutschland und dann in britische Gefangenschaft geraten war. Dieser Tote hier war ein alter Mann, sicher über 80. Gutes Aussehen, selbst im Tod. Typ Grandseigneur, wohlhabend, edel, arrogant, Kälte und Angst um sich verbreitend. Selbst jetzt im Tod strahlte er eine gewisse Unantastbarkeit aus.
    Tonlos sagte Hansen: »Ich kenne den Mann. Das ist Hermann Siewering, der Hamburger Reeder. Der hat hier ein Haus und ein Boot.«
    Erneut schrie eine Frau auf. Auf der sandverkrusteten Brust des alten Mannes befanden sich, wenn auch nur ganz schwach erkennbar, Schnitte. Sie ergaben, ungelenk eingeritzt, aber noch lesbar das Wort MÖRDER.

Männer!
    Hansen schluckte. Das war definitiv kein Unfall. Aber keine Zeit jetzt! Er nahm sein Mobiltelefon – Gott sei Dank, den Akku hatte er gestern erst aufgeladen und am Morgen, wie immer, noch kontrolliert – und drückte die eingespeicherte Notrufnummer. Er wurde gleich weiterverbunden zur SAR-Einsatzzentrale. Der Mitarbeiter am Telefon wiederholte, was er gehört hatte: Ein männlicher Toter im Watt zwischen Föhr, Sylt und Amrum. Gefunden 8.30 Uhr von einer Gruppe Wattwanderer mit Wattführer Hans-Jürgen Hansen. Alles klar. SAR-Hubschrauber auf Helgoland
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