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Fida (German Edition)

Fida (German Edition)

Titel: Fida (German Edition)
Autoren: Stefanie Maucher
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auf dem Kissen, keine Spur ihres Duftes, nicht mal ein kleiner, wenigstens schwach wahrnehmbarer Hauch ist von ihr geblieben. Am Tag als ihre Tochter verschwand, hatte Tatjana das Bett frisch überzogen, so wie sie es jede Woche tat. Erst viel zu spät, als die Wäsche längst gewaschen war, hatte sie begriffen, dass sie damit die letzte Spur von Lauras Geruch vernichtet hatte. Sie vermisst ihren Duft. Er fehlt ihr. Ein dünnes Schluchzen entringt sich Tatjanas Kehle.
    Einen kleinen Moment bleibt sie noch liegen, braucht einen Augenblick, um sich etwas zu sammeln und die Tränen niederzukämpfen, die in ihr aufsteigen. Dann steht sie wieder auf, verlässt das Zimmer und schließt die Tür nur halb, so dass man das angerichtete Chaos noch sehen kann und die Spur, die zum Bett führt. Sorgfältig darauf bedacht, nicht in die hinterlassenen Spuren zu treten, geht sie zurück zur Garderobe und schlüpft in ihre Hausschuhe. Anschließend geht sie in die Küche, wo sie Wasser erhitzt und damit beginnt, Kartoffeln fürs Abendessen zu schälen. Während der stumpfsinnigen Tätigkeit versucht sie an nichts zu denken. Doch die Stille um sie herum, nur leise unterbrochen durch das Wasser, das langsam zu brodeln beginnt, lässt die Gedanken umso lauter durch ihren Kopf schwirren.
    „‘Toffelbrei!“ Die Erinnerung an eine glockenhelle Stimme und kleine Patschfinger, die nach der heiße Herdplatte greifen, blitzt auf. Bohrender Schmerz geht damit einher, weil sie diese Stimme zu lang nicht gehört hat. Schnell versucht sie, den Gedanken wegzustoßen, die ängstliche Frage, ob sie diese Stimme jemals wieder hören wird. Oder ihr Lachen. Seit das Mädchen weg ist, wird hier nur noch selten gelacht. Sie muss versuchen, sich an der Hoffnung festzuhalten. Vielleicht sieht jemand die Suchmeldung. Jemand, der sie gesehen hat. Jemand, der weiß, wo sie ist.
    Sie denkt an eine Begegnung im Park zurück, früher am Nachmittag, die sie seltsam fand. Manchmal spricht sie auf ihren Spaziergängen Leute an, fragt sie, ob sie das Mädchen gesehen haben. Meistens haben die Menschen kaum einen Blick übrig, aber wenn doch, dann bleiben sie meist einen Moment stehen, sehen sich das Bild an und äußern danach ein paar mitfühlende, bedauernde und Mut machende Floskeln. Heute zeigte sie das Bild einem Mann, der auf einer der Parkbänke saß. Auch er betrachtete die Vermisstenmeldung. Statt der erwarteten Reaktion schien es einen Moment so, als wolle er etwas anderes sagen. Ein merkwürdiger, undefinierbarer Ausdruck huschte über sein Gesicht, bevor sich seine Mimik verschloss und er in gehetztem Ton sagte: „Entschuldigen Sie, ich habe es eilig“, aufstand und davonhastete.
    Mechanisch führen ihre Hände die Arbeit aus. Schließlich hält sie inne, weil sie merkt, dass sie viel zu viel für nur zwei Personen schält. Tatjana schneidet die Kartoffeln kleiner, gibt Salz ins aufschäumende Wasser und lässt die entstandenen Würfel hineingleiten. Später will sie sie stampfen, frischen Kartoffelbrei daraus machen. Den hat ihre Tochter schon als Baby gern gegessen. Wieder das Aufblitzen der Erinnerung. Breiverschmiertes Gelächter. In letzter Zeit gibt es häufig Kartoffelbrei.
    Sie deckt den Topf mit dem dazugehörigen Deckel ab und verlässt die Küche. Geht wieder hinauf ins Obergeschoss, wo am Ende des Gangs noch immer die Tür zum Kinderzimmer halb offen steht. Doch dort hinein will sie nicht. Stattdessen öffnet sie die Tür, die in ihr Lesezimmer führt. Dort rückt sie ächzend den Ohrenbackensessel von seinem angestammten Platz fort, schiebt ihn in den Türrahmen und setzt sich hinein. Von hier aus kann sie alles überblicken. Den Hauseingang mit der Garderobe am Fuß der Treppe, ihre abwärts führenden Stufen und das obere Stockwerk. Ihr Blick heftet sich an den selbstgelegten Schlammspuren fest, folgt ihrem Weg zum Ende des Flurs und bleibt auf den Schuhen liegen. Sie starrt so lange auf diesen Fleck, bis er vor ihren Augen verschwimmt, undeutlich wird und sich vermischt mit der Einbildung, Laura wäre endlich nach Hause gekommen.
     
    ***
     
    Zwei Stunden später, als die Haustür sich erneut öffnet, liegt ein beißender Gestank in der Luft. Angebrannt riecht es. Unter der Küchentür hindurch drückt sich grauer Qualm hindurch in den Flur. Jochen erschrickt, fühlt sich augenblicklich von Panik durchdrungen.
    „Verdammt! …Tatjana!“
    Der Bruchteil einer adrenalinisierten Sekunde reicht aus, um eine Informationsflut durch
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