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Fida (German Edition)

Fida (German Edition)

Titel: Fida (German Edition)
Autoren: Stefanie Maucher
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seinen Körper zu transportieren. Wo Rauch ist, ist auch Feuer! Gefahr! Er darf sie nicht auch noch verlieren. Den Ärmel seiner Jacke vors Gesicht gepresst öffnet er die Küchentür. Beißender Qualm wabert ihm entgegen, hüllt ihn ein und reizt sofort seine Augen. Jochen stürzt hustend zum Küchenfenster, das er durch den rauchigen Nebel kaum erkennen kann. Er muss es nicht sehen können, um zu wissen wo es ist. Instinktiv reißt er es weit auf.
    Im selben Moment, in dem er hört, wie sich der dämmende Tesa-Moll-Streifen mit einem klebrigen, schmatzenden Geräusch vom Rahmen ablöst, schießt ihm eine Sequenz aus einem Film durch den Kopf. Halbwissen über plötzliche Sauerstoffzufuhr und Stichflammen, Zungen aus Flammen, die an Zimmerdecken entlang lecken. Sein Kopfkino zeigt ihm im Bruchteil einer Sekunde das explodierende Penthouse eines hohen Gebäudes, ein flammendes, zerstörerisches Inferno und fast schon rechnet er damit, dass ihm selbst gleich alles um die Ohren fliegt.
    Stattdessen strömt einfach nur frische Luft in den Raum. Hustend steckt er seinen Kopf aus dem Fenster, füllt seine Lunge, schöpft tief Atem, bevor er ihn erneut anhält, sich wieder umwendet und in den verrauchten Raum starrt. Einen Topf auf dem Herd kann er als Quelle des Qualms ausmachen, also packt er ihn, verbrennt sich schmerzhaft die Finger am heißen Metall. Jochen schreit vor Schmerz auf, lässt den Topf aber nicht einfach los, sondern wirf ihn kurzerhand aus dem Fenster. Dort holt er abermals tief Luft. Dann sucht sein Blick wieder die Küche ab. Keine Spur von Tatjana.
    Nur langsam klart der Raum auf. Auch Jochens Panik legt sich allmählich. Stattdessen keimt Ärger in ihm auf. Wo zum Teufel ist seine Frau, während hier fast das Haus abbrennt?
    Die Luft in der Küche ist noch immer stickig und auf seiner rechten Handfläche beginnt eine große Brandblase damit, sich schmerzhaft zu wölben. Er stellt die rotglühende Herdplatte aus und macht, dass er hier rauskommt. Schließt die Küchentür. Soll es dort drin erst mal auslüften. Die verbrannte Haut sollte man kühlen. Gefrorene Erbsen? Nein, er will nicht in die Küche zurück. Vielleicht gibt es oben im Bad noch Brandsalbe.
    Jochen wendet sich der Treppe zu und sieht die schmutzigen Spuren, die nach oben führen. Für einen Moment bleibt ihm abermals fast das Herz stehen. Seine Tochter war die Einzige, die es wagte, mit ihren dreckigen Schuhen durchs Haus zu laufen. Zuerst mit kindlicher, dann mit pubertierender Ignoranz gegenüber den mütterlichen Vorschriften.
    Augenblicklich ist die Blase vergessen, der Schmerz in der Hand wird verdrängt vom spontanen Gedanken, sein Kind könnte doch noch nach Hause gekommen sein. Ein Damm in ihm bricht, eine Barriere, die ihn vor seinen Gefühlen schützt und die er mühsam errichtet hatte, um weiterleben zu können. Der Anblick der schmutzigen Fußspuren lässt Emotionen über ihn hereinbrechen, Hoffnungen und Wünsche, die er sich nicht mehr erlaubt hatte, weil die Enttäuschung, wenn sie sich nicht erfüllen, zu groß wäre. Lichterloh lodert der Funke Hoffnung in ihm auf, den er längst erstickt glaubte. Mehrere Stufen auf einmal nehmend steigt er hinauf, rennt förmlich – und erstarrt, als er oben ankommt.
    Es ist kein furchtbarer Anblick, der sich ihm bietet, aber trotzdem ist es schrecklich. Er hat Tatjana gefunden. Sie sitzt einfach nur da, die Beine eng an den Oberkörper gezogen. Scheint in fötaler Sitzhaltung erstarrt, mit apathischem, ins Leere gerichtetem Blick. Jochen muss ihn gar nicht verfolgen, nicht erst ins Kinderzimmer schauen, um zu wissen, dass die Spuren nichts Gutes bedeuten. Tatjana scheint ihn nicht einmal wahrzunehmen. So plötzlich, wie die Hoffnung über ihn hereinbrach, wird sie von einer neuerlichen Flut hinweggespült und hinterlässt nichts als Verzweiflung.
    Ohne seine Frau anzusprechen geht er an ihr vorbei ins Bad, knallt lautstark die Tür hinter sich zu, lehnt seine Stirn gegen die seines Gegenübers im Spiegel und kühlt seine Blase mit fließendem, kalten Wasser.
     
    ***
     
    Später am Abend sitzen sie zusammen auf dem Sofa und der zu laut plärrende Fernseher kann nicht über das unangenehme Schweigen hinwegtäuschen, welches zwischen ihnen herrscht. Beiden fehlen die Worte, mit denen sie dem anderen ihren eigenen Schmerz mitteilen könnten, ohne dabei den unausgesprochenen Vorwurf durchklingen zu lassen, den sie einander machen. Den Vorwurf, dass auch der jeweils andere nicht die
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