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Feuerwasser

Feuerwasser

Titel: Feuerwasser
Autoren: Paul Lascaux
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Anthropologie.«
    »Heute gibt’s nur noch Felchen mit Organschäden«, bemerkte Heinrich.

    »Nur gerade ein Prozent des gesamten Wassers auf der Erde ist verfügbares Süßwasser«, las Heinrich an einem Rastplatz aus der Broschüre eines weltweit tätigen Rückversicherungskonzerns vor, die er bereits im Zug studiert hatte und in der er das Wichtigste markiert hatte. »15.000 Kubikkilometer Süßwasser sind erneuerbar und stehen der Menschheit jedes Jahr zur Verfügung. Da wären die 1,5 Kubikkilometer des Justistal-Stausees ein Klacks. Der Verbrauch eines Erwachsenen in der Schweiz beträgt 4.500 Liter pro Tag. Davon entfallen 3.700 Liter auf die Produktion, die Reinigung und Verarbeitung von Nahrungsmitteln, fast 400 Liter auf den Anteil an Gewerbe und Dienstleistungen, 50 Liter auf die Klospülung und 2 Liter auf Trinkwasser.«
    »Puh«, sagte Leonie, »ich sollte mehr trinken, zum Beispiel einen Kaffee.«

    »140 Liter Süßwasser braucht es, bis du eine Tasse Kaffee aus dem Automaten lassen kannst, 5.000 Liter für ein Kilogramm Käse, 70 Liter für einen Apfel und über 16.000 Liter für ein Kilogramm Leder«, zitierte Müller weiter.
    »Meine Wanderschuhe also«, sagte Nicole. »Die Zahlen stimmen?«

    »Der Konzern ist nicht so sehr an einer politischen Stellungnahme interessiert und schon gar nicht an Umweltschutzfragen, sondern an der Risikoeinschätzung für sein Geschäft. Und da ist er, gerade wenn es Unwetter und klimatische Gefahren betrifft, auf genaue Zahlen angewiesen.«
    »Am schönsten find ich das Wasser in solchen Bächen wie hier«, sagte Nicole, »oder in den Suonen, den Wasserfassungen in den Alpen, mit denen die Bauern seit Jahrhunderten Gebirgswasser in engen Kanälen oder ausgehöhlten Baumstämmen über viele Kilometer auf die ausgetrockneten Sonnenhänge umleiten und durch ein ausgeklügeltes System auf ihre Felder verteilen. Da wird kein Gramm vergeudet. Die Walliser Suonen sind am besten zugänglich. Da komm ich ins Schwärmen, wenn ich ans Baltschiedertal denke und ans Niwärch, das im Spätmittelalter in den Fels hineingehauen wurde.«
    »Wird unser nächster Spaziergang«, schlug Heinrich vor.
    »Alles andere als ein Sonntagnachmittagsausflug«, widersprach Nicole, »nur für Trittsichere und absolut Schwindelfreie.«
    »Dort ist das Wasser bestimmt rechtsdrehend«, sagte Leonie.
    Die beiden anderen schauten überrascht auf.
    »Ihr wisst doch: Rechtsdrehendes Wasser wirkt grundsätzlich energieaufladend und gesundheitsfördernd, linksdrehendes energieabladend und krankheitsfördernd.«
    Heinrich seufzte. »Links dreht bestimmt das Brauchwasser, das in Bern aus der Leitung kommt.«
    »Ja.«

    »Und es gibt sicher ein Gerät zu kaufen, das das linksdrehende umpolt auf die Gegenrichtung.«
    »Ja. Eine Spirale.«
    »Hast du schon eine gekauft?«, erkundigte sich Nicole.
    »Nein. Aber ich habe darüber nachgedacht«, erwiderte Leonie.
    »Warum?«, fragte Nicole.
    »Weil zu viel linksdrehendes Wasser zwar Organ schädigend sein kann, zu viel rechtsdrehendes jedoch die Nerven belastet. Da muss man einen korrekten Ausgleich finden. Und ich weiß noch nicht wie.«
    Endlich machten sie sich auf zum letzten Abschnitt, der sie für die Wanderung doch belohnte. Die eigentliche Schlucht türmte sich zwischen enormen Felsmassen vor ihnen auf. Sie folgten einer steinernen Treppe und hielten sich an eisernen Ketten fest. Am Schluss ging es über einen Brettersteig direkt über dem Wasser durch einen haushohen Couloir, an der engsten Stelle kaum armbreit, wo sich die Bied mehrere Dutzend Meter fast senkrecht ins Gestein gefressen hatte. Mit dem letzten Schritt traten sie aus dem feuchten Schattenreich in die grelle Sonne hinaus, in ein liebliches Tal, mit einer noch lieblicheren, verwitterten Holztafel, als Pfeil gestaltet, mit der Aufschrift »Buvette«.
    »Das ist doch ein Versprechen!«, jubelte Heinrich, und sie setzten ihren Weg fort über jurassische Alpweiden, bis sie an einer Hütte anlangten, die von den wenigen Holzbänken aus einen weiten Blick über die Hügel erlaubte. Mit viel Fantasie erhob sich aus dem fernen Dunst heraus die Berner Voralpenkette.
    Vergeben und vergessen.
    Wie von Zauberhand standen drei schwere konische Gläser vor ihnen, in der Mitte eine Keramik-Fontaine mit vier Metallhahnen, aus denen nun Eiswasser über die bleichgrüne Flüssigkeit im Glas tropfte, die langsam ihre Farbe zu einem milchigen Grün wechselte.
    »La fée verte«, sagte Heinrich.
    »Artemisia«,
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