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Feuerprinz

Feuerprinz

Titel: Feuerprinz
Autoren: Aufbau
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zurecht, schlenderte über den Tempelplatz und stieß mit einer vorbeieilenden Frau zusammen, die ihre kleine Tochter ungeduldig an der Hand hinter sich herzog.
    »Tut mir leid«, rief sie, ohne stehen zu bleiben. In Engil wurde auch der Weg einer Königstochter nicht mit Blüten bestreut. Doch die Unachtsamkeit der Menschen an diesem Tag war seltsam. Ehe die Frau weitereilen konnte, hielt Lin sie am Ärmel ihres Gewandes fest. »Warum hast du es so eilig? Was gibt es in der Unterstadt zu sehen?«
    Die Frau sah sie verwirrt an. Dann schüttelte sie den Kopf, als wäre sie gerade aus einem Traum erwacht. »Ich … ich weiß nicht. Ich habe keine Eile. Aber alle laufen in die Unterstadt, also bin ich hinterhergelaufen.« Sie lächelte verschämt und errötete.
    Lin ließ sie los und schüttelte verständnislos den Kopf. Während die Frau mit ihrer Tochter in einer Traube aus Menschen verschwand, maßregelte sie sich selbst. Warum tat sie immer so erwachsen? Etwas mehr Neugierde hätte ihr sicherlich nicht geschadet. Lin gab sich einen Ruck und lief der Frau und ihrer Tochter hinterher. Vielleicht musste sie sich einfach dazu zwingen, ab und zu von ihren ausgetretenen Pfaden abzuweichen, um wieder Freude am Leben zu haben. Vielleicht gab es wirklich etwas Interessantes zu sehen in der Unterstadt.
    Als Lin die Brücke erreichte, die über den Sandfluss führte, war sie verstopft mit Menschen, die allesamt zum Stadttor drängten. Sie tauchte ein in die Masse der wogenden Körper und schloss die Augen. Der Geruch von Schweiß war atemberaubend, aber es tat gut, ein Teil der Menge zu sein und sich mit ihr treiben zu lassen. Sogar der Gestank der Falbrindstallungen, der von der Ostseite der Unterstadt herüberzog, machte ihr nichts aus. In diesem Augenblick spürte sie ein winziges Stückchen der alten Lin in sich durchbrechen. Es gab sie also noch, irgendwo tief in ihr. Sie gönnte sich ein seltenes Lächeln, während sie von der Masse über die Brücke geschoben wurde.
    In der Unterstadt ließ das Gedränge nach. Die Menschen gingen nun langsamer, sahen sich um, als suchten sie nach etwas. Schließlich kam die Menge zum Stehen – Männer schüttelten den Kopf, Frauen zogen ihre Kinder an sich und sahen sich irritiert um. Auch Lin verharrte. Sie konnte nichts Aufregendes ausmachen, außer der Tatsache, dass sie alle miteinander dichtgedrängt auf dem Versammlungsplatz vor dem Stadttor standen. Es war, alswären sie gemeinsam in einen Rausch geraten, der abrupt geendet hatte. Die Ersten wandten sich peinlich berührt ab, um zu ihrem Handwerk oder ihrer Familie zurückzukehren. Eine junge Engilianerin schüttelte den Kopf, als wäre sie gerade aufgewacht, aber noch schlaftrunken.
    Lin sah zum Stadttor hinüber, durch das ein großgewachsener Fremder mit einem Wanderstab kam. Die Wachen lehnten gelangweilt im steinernen Torgang und bohrten mit ihren Schwertern im Sand. Sie blickten nicht einmal auf, als der Fremde an ihnen vorbeilief.
    Das war nicht ungewöhnlich. Händler kamen und gingen, und die Waffenausbildung engilianischer Männer war nicht besonders gründlich. Genau genommen waren sie als Krieger untauglich. Die Engilianer waren noch nie ein wehrhaftes Volk gewesen, liebten stattdessen Sala, Wein und gutes Essen – und sie ließen jeden die Tore Engils passieren, der dies begehrte.
    »Schau …«, sagte Lin zu dem Mädchen neben sich. In Engil kannte man fast jedes Gesicht, und so fiel ein Fremder auf. »Kennst du diesen Mann?«
    Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Nein … den habe ich noch nie gesehen.«
    Lin wusste nicht weshalb, aber dieser Mann zog ihre Aufmerksamkeit auf sich. »Was will er wohl? Nach Engil sind schon lange keine Fremden mehr gekommen – nur Händler und die Waldfrauen. Er sieht nicht aus wie ein Händler.«
    Das Mädchen bedachte sie mit einem Blick, als hätte sie gefragt, warum das Gras grün und der Himmel blau ist. »Ich weiß nicht. Woher weißt du denn, dass er kein Händler ist, wenn du ihn nicht kennst?« Sie wartete erst gar keine Antwort ab. Die Menschen von Engil mochten es nicht, sich mit unnötigen Grübeleien zu befassen. »Ich glaube, ich gehe nach Hause. Mein Kopf tut weh, undich bin müde.« Das Mädchen lächelte entschuldigend und schlenderte dann langsam davon.
    Lin wandte sich erneut dem Fremden zu, der geradewegs auf sie zukam. Verstohlen sah sie sich um. Sie war die Einzige, die noch herumstand und den Fremden anstarrte. Die Menge hatte sich zerstreut. Lin überlegte,
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